Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

zahlreichen fulminanten Protestkundgebun¬ gen manifestierte und — nachdem der Staatsanwalt, welcher das Todesurteil gegen Ferrer beantragt, von Mörderhand — gefallen war schließlich auch das reaktionär=klerikale Ministerium Maura am 21. Oktober 1909 hinwegfegte. Diesem Ministerium folgten rasch nacheinander die Ministerien Moret und Canalejas, beide freiheitlich, welche, nachdem die konstitutio¬ nellen Garantien in allen Provinzen wieder hergestellt worden, den Kampf gegen den Klerikalismus und die Erstellung der reli¬ giösen Freiheit in ihr Programm auf¬ nahmen und dem Überwuchern der katholi¬ schen Kongregationen ein Ziel zu setzen uchten, so daß sich am Schluß der Be¬ richtsperiode ein regelrechter Kulturkampf in Spanien zu entwickeln begann. Die im Mai 1910 vollzogenen Wahlen der vom Ministerium Canalejas aufgelösten Depu¬ tiertenkammer ergaben eine starke freiheit¬ liche Majorität; auch die Senatswahlen fielen zugunsten der liberalen Regie¬ rung aus. Am 18. Juli 1909 starb zu Varese der am 30. März 1848 in Laibach geborene Don Carlos von Bourbon, der vierte Prä¬ tendent von Spanien aus der carlistischen Linie der spanischen Bourbonen, von seinen Anhängern „König Karl VII. von Spa¬ nien“ genannt Türkei. Einige in der Berichtsperiode an manchen Punkten des Reiches aus verschiedenen Gründen ausgebrochene kleinere Unruhen und Aufstände — so in Albanien — wur¬ den durch Waffengewalt unterdrückt. Das Verhältnis Kretas zur Türkei ist nock immer nicht definitiv geordnet. Die Politik der vier Schutzmächte, England Frankreich, Italien und Rußland — Österreich=Ungarn und Deutschland haben sich seit langem aus der tragikomischen Affäre zurückgezogen — bauend auf die frühere Ohnmacht der Türkei und in allzu großer Konnivenz gegenüber den Wünschen der christlichen Kretenser, hatte den Karren gründlich verfahren, und als angesichts der Regenerierung der Türkei die Notwendigkeit für die Schutzmächte ein¬ 95 trat, etwas zurückzubremsen, hatten sie, wie es scheint, bereits alle Autorität bei den Kretensern verloren. So hatte z. B. die am 9. Mai 1910 im „Namen des Königs von Griechenland“ durch den Präsidenten der provisorischen Regierung eröffnete Natio¬ nalversammlung respektive deren christliche Majorität — nachdem es schon früher wegen der Hissung der allerdings dann wieder durch Truppen der Schutzmächte entfernten griechischen Flagge auf Kreta bald zu einem bewaffneten Einschreiten der Türkei und zu einem Konflikt zwischen dieser und Grie¬ chenland gekommen wäre — beschlossen, daß die Deputierten, obwohl rechtlich noch Untertanen des Sultans, den Eid der Treue für den König von Griechenland zu leisten hätten, und als sich die muselmanischen Deputierten dessen weigerten, wurde ihnen einfach der Zutritt zur Versammlung ver¬ wehrt, wie auch den muselmanischen Beamten, die den fraglichen Eid nicht leisten wollten die Bezüge eingestellt wurden. Über ener¬ gische Schritte der Pforte suchten die Schutz¬ mächte zunächst in aller Güte Remedur zu schaffen, als aber dies nicht ging, beschlossen sie, eventuell Gewalt zu gebrauchen; sie zu wel¬ drohten mit Truppenlandungen — chem Behufe sie ihre Stationsschiffe in den — kretensischen Gewässern verdoppelten — und mit Konfiskation der Zolleinnahmen. Der drohenden Gewalt gegenüber ermächtigte die Nationalversammlung die provisorische Regierung der Insel, den Schutzmächten zu erklären, daß die muselmanischen Deputierten ohne Eidesleistung an den König von Griechenland in der Versammlung zugelassen und ebenso die Gehalte der muselmanischen Beamten bedingungslos ausgezahlt werden würden. Zugleich vertagte sich aber die Nationalversammlung auf vier Monate und machte derart wieder die Bewilligung des Eintrittes der muselmanischen Deputierten illusorisch. So respektierten die Kretenser den Willen ihrer Schutzmächte! Griechenland. Griechenland hatte in der Berichtsperiode eine unblutige militärische Verschwörung, respektive Revolution zu verzeichnen, die nach dem Muster der jungtürkischen zuge¬

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