Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

94 Schweiz. Am 16. Dezember 1909 wurde Robert Comtesse zum Bundespräsidenten für das Jahr 1910 gewählt. Belgien. Am 17. Dezember 1909 verschied Leo¬ pold II., König der Belgier, im Schlosse Laeken bei Brüssel an Embolie. Er war am 9. April 1835 als ältester Sohn des Ko¬ burger Prinzen Leopold, der als Leopold I. den belgischen Thron bestieg, in Brüssel ge¬ boren und gelangte am 10. Dezember 1865 zur Regierung. Nach dem Tode des Königs, der ein nach vielen Millionen zählendes Privatvermögen hinterlassen, entwickelten sich wegen der Erbschaft pein¬ liche Differenzen zwischen seinen Töchtern der morganatischen Gattin, dem Staate und Gründungen, denen er noch bei Lebzeiten Teile seines Vermögens überwiesen hatte, Differenzen, die noch, da wir dies schreiben, nicht vollständig gelöst sind. Als sein Nach¬ folger bestieg der am 8. April 1875 in Brüssel geborene, am 2. Oktober 1900 mit Elisabeth Herzogin in Bayern vermählte Prinz Albert von Belgien, ein Sohn des Prinzen Philipp von Belgien, Grafen von Flandern und Neffe des verstorbenen Königs, als Albert I. den Thron Belgiens. Norwegen. Am 26. April 1910 starb zu Paris der große norwegische Dichter Björnstjerne Björnson. Er war am 8. Dezember 1832 zu Kvikne in Oesterdalen als Pfarrerssohn geboren. Björnson schrieb epochemachende Bauerngeschichten und lyrische Gedichte so¬ wie eine reiche Anzahl von Bühnenwerken („Hinkned Hulda“, „Sigurd Slembe“, „Sigurd Jorsalvar“, „Die Neuvermählten“, „Ein Fallissement", „Über die Kraft“ usw.) Er war aber auch der größte Volksmann und gewaltigste Prediger seiner Nation in einem der bewegtesten Zeiträume ihrer Ge¬ schichte. Er war nicht bloß Dichter, Lyriker Erzähler, Dramatiker, sondern auch Politi¬ ker, Moralist, Religionsreformer. In alle Lebensbeziehungen seines Volkes griff er ein; die Bauern, die Bürger, die reichen Handelsherren und die strengen Gottes¬ gelehrten, die duldenden Frauen von altem Schlag und die modernen, um die Emanzi¬ pation ihres Geschlechtes kämpfenden Frauenrechtlerinnen bevölkern seine Phan¬ tasie im Drama und Roman. Und schließlich wuchs Björnsons ethische Autorität über die Grenzen seiner Heimat hinaus, er durfte ich auch in die inneren Händel anderer Völker mischen, um überall seine Mission als Friedensapostel zu erfüllen. Spanien. Die anfangs ziemlich unglücklichen und im Volke mißliebigen Kämpfe der spani¬ schen Truppen gegen die Riffkabylen in Asrika — von denen später die Rede sein wird — hatten in Spanien zu schweren, zum Teil auch von anarchistischen Elementen ge¬ förderten Ruhestörungen geführt, die ihrer¬ seits wieder die Verhängung des Belage¬ rungszustandes über mehrere Provinzen und dann am 28. Juli 1909 sogar die Sus¬ pendierung der Verfassung in ganz Spanien veranlaßten. Am schlimmsten stand es in Barcelona, wo die aufrührerische Bewegung sich am wütendsten gegen die Klerikalen wendete — mehrere Klöster und Kirchen wurden zerstört — und wo es zu blutigen Zusammenstößen zwischen den Aufständi¬ schen und den Truppen kam, wobei sogar Artillerie eingreifen mußte. Der Auf¬ bietung starker Truppenmassen gelang zwar verhältnismäßig bald die Unterdrückung der aufrührerischen Bewegung auch in Bar¬ celona, aber die Sache führte doch in letzter Linie zu bedeutsamen Wendungen in der innerspanischen Politik. Massenhinrich¬ tungen, die nach den Schreckenstagen von Barcelona in dem Hofe der Festung von Montjuich vollzogen wurden und insbeson¬ dere die am 13. Oktober 1909 nach einen nicht einwandfreien Gerichtsverfahren er¬ folgte Erschießung des bekannten Frei¬ denkers und Verfechters der modernen Schule Francesco Ferrer — der an den Barcelonaer Unruhen gewiß weniger Schuld hatte als die Maßnahmen der Re¬ gierung — erweckten nicht nur in Spanien, sondern in der ganzen zivilisierten Welt. besonders aber in den romanischen Ländern, einen Sturm der Entrüstung, der sich in

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