92 Eine ganz entsetzliche Hochwasserkata¬ strophe suchte im Monat Jänner einen Teil von Frankreich und speziell auch Paris heim. Lang anhaltende Regen und schwere Wolkenbrüche hatten verschiedene Flüsse darunter auch die Seine, so gewaltig an¬ schwellen lassen, daß sie aus ihren Ufern traten. Paris war durch eine volle Woche eine zum Teil überschwemmte Stadt; der Verkehr mußte in Kähnen aufrecht erhalten werden, die Beleuchtung versagte an man¬ chen Orten und zu den Miseren des fluten¬ den Wassers kamen wegen unzulänglicher Zufuhr auch die Miseren des Proviant¬ mangels und dann auch teilweise Mangel an Trinkwasser. Erst am 29. Jänner konnte ein langsames, aber stetiges Sinken der seit 22. Jänner stetig gestiegenen Seine konstatiert werden. Der höchste Wasserstand der Seine — am Mittag des 28. Jänner betrug am Port Royal 9½ Meter; es war dies der Gipfel nicht nur der diesmaligen Überschwemmung, sondern aller Hochwasser der Seine in geschichtlichen Zeiten. Am 1. Februar endlich konnte die Hochwasser¬ katastrophe für Paris als beendet erklärt werden; sie hatte bei 200.000 Personen ma¬ teriell geschädigt; auf 100 Millionen bezif¬ ferte man den wirtschaftlichen Schaden in Paris. Auch in der Provinz stand es nicht besser; in zahlreichen Städten und Orten flutete das Wasser durch die Straßen, Häuser stürzten ein — auch Menschenleben wurden vernichtet — und ein kolossaler materieller Schaden angerichtet. England. In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai 1910 starb Eduard VII., König von Eng¬ land und Kaiser von Indien. Er war am 9. November 1841 im Buckingham=Palast zu London als Sohn des Prinzen Albert von Sachsen=Coburg und Gotha und der Königin Victoria geboren und bestieg am 23. Jänner 1901 den Thron. König Eduard VII. war eine imperialistisch an¬ gelegte Natur; die stets wachsende Land¬ See= und Handelsmacht Deutschlands er¬ weckte in ihm eifersüchtige Gefühle und er suchte diese ihm gefährlich scheinende Macht durch „Einkreisung“ Deutschlands zu para¬ lysieren. Zu diesem Behufe versuchte er oder doch seine Regierung, auch Österreich¬ Ungarn von Deutschland loszulösen, und als die Bundestreue Kaiser Franz Josephs I. diesen Plan durchkreuzte, war Englands Antwort darauf dessen unfreund¬ liche Haltung in der Annexionskampagne Als Eduards VII. Nachfolger bestieg dessen Sohn Prinz Georg Friedrich Ernst Albert, Herzog von York, Prinz von Wales geboren am 3. Juni 1865 und seit 6. Juli 1893 mit Victoria Mary Fürstin von Tech vermählt, als Georg V den Thron Eng¬ lands und Indiens. Am 22. Juni 1910 ernannte der neue König seinen ältesten Sohn Prinz Eduard Albert, Herzog von — Cornwall — geboren 23. Juni 1894 der Tradition gemäß, nach welcher der eng¬ lische Thronfolger stets den Titel „Prinz von Wales“ führt, zum Prinzen von Wales. Ein ernster Kompetenzkonflikt zwischen Oberhaus und Unterhaus, welcher sich im Wesen um die Frage drehte, ob das Ober¬ haus berechtigt sei, ein vom Unterhaus ak¬ zeptiertes Budget zu verwerfen — das Oberhaus hatte am 30. November 1909 durch Annahme einer gegen die Budget¬ bewilligung gerichteten Resolution Lans¬ downe mit 350 gegen 75 Stimmen den Konflikt provoziert — führte, um eine Ent¬ scheidung durch das Volk herbeizuführen zunächst am 3. Dezember 1909 zur Ver¬ tagung und dann zur Auflösung des Parla¬ ments. Die Wahlen fanden im Jänner und Februar 1910 unter den Parolen „pro oder „contra“ Oberhaus statt, und da ihr Resultat ein gewaltiges Abnehmen der dem liberalen Ministerium Asquith un bedingt zur Verfügung stehenden Majorität ergab, wurden langsam Kompromißver¬ handlungen zur gütlichen Regelung der Kompetenzen des Oberhauses eingeleitet, die aber mit Ende der Berichtsperiode noch nicht zum Abschluß gediehen waren. Rußland. Es sind — was Rußland allein betrifft nur wenige wichtigere Ereignisse aus der Berichtsperiode zu verzeichnen, so der am 19. Dezember 1909 in Cannes im 77. Le¬
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