Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

90 Juni und besonders am 13. bis 14. Juni 1910 niedergingen (der letztgenannte dauerte zwölf Stunden), resp. die dadurch her¬ beigeführten Überschwemmungen zerstörten viele Gehöfte, ja ganze Ortschaften und kosteten über 500 Personen das Leben. Der materielle Schaden ging in die Mil¬ lionen. Deutschland. Hat in der vorjährigen Berichtsperiode der schwarz=blaue Block — die Koalition des Zentrums mit den Konservativen — durch seine Stellungnahme in der Reichs¬ teuerfrage eine Reichskanzlerkrise herbei¬ geführt, so hat derselbe Block in der dies¬ jährigen Berichtsperiode gegen den Willen * des neuen Reichskanzlers und Prasidenten des preußischen Staatsministeriums von Bethmann=Hollweg sowie des preußischen Herrenhauses die Gewährung einer halb¬ wegs auch die liberalen Parteien befriedi¬ genden Wahlreform in Preußen verhindert. Bethmann=Hollweg hat zwar nicht, wie seinerzeit Fürst Bülow, die einzig richtigen Konsequenzen gezogen, sondern sich dem chwarz=blauen Block gefügt, aber ganz wohl scheint ihm bei seinen neuen Bundes¬ genossen nicht zu sein und auch über den fernerhin einzuschlagenden Kurs scheint er ich noch nicht ganz klar zu sein; das be¬ weisen die gegen Schluß unserer Berichts¬ periode erfolgten Anderungen im preußi¬ schen Staatsministerium sowie im deut¬ chen Reichsministerium, die ein witziger Kopf als „Großes Reinemachen“ charak¬ terisierte, und die zum Teil die Neigung nach einem mäßigen Links, zum Teil wieder nach einem ausgesprochenen Rechts bekundeten. Nachdem bereits anfangs Mai der Staatssekretär im Reichskolonialamt Dernburg mit Rücksicht auf seine, von den in der Regierung des Reiches und Preußens maßgebenden, abweichenden politischen An¬ schauungen seine Demission gegeben — selbe wurde am 9. Juni 1910 unter gleich¬ zeitiger Ernennung des Unterstaatssekretärs im selben Amte v. Lindequist zu seinem Nachfolger angenommen — traten am 18. Juni 1910 die preußischen Minister des Innern Graf Moltke und der Land¬ wirtschaft v. Arnim zurück; an ihrer Stelle wurde Dr. Freiherr v. Schorlemer zum Landwirtschaftsminister, Oberpräsident von Dallwitz zum Minister des Innern ernannt. Am 28. Juni 1910 folgte dann der preußi¬ sche Finanzminister Freiherr v. Rheinbaben und der Staatssekretär im Reichsamt des Außern Freiherr v. Schoen; ersterer wurde durch den Oberbürgermeister von Magde¬ burg Dr. Lentze, letzterer durch v. Kiderlen¬ Waechter ersetzt. Von den entlassenen Mini¬ stern waren v. Arnim, Graf Moltke und Freiherr v. Rheinbaben Hochkonservative, Dernburg und v. Schoen gemäßigte Libe¬ rale; von den neuen Ministern neigen Dr. Schorlemer und besonders Dr. Lentze zur gemäßigten Linken, während Dallwitz hochkonservativ ist. Eine weitere Verände¬ rung im Reichsministerium war bereits rüher — natürlich unabhängig von politi¬ chen Fragen — eingetreten; an Stelle des zurücktretenden Kriegsministers G. d. K. v. Einem war nämlich G. d. J. v. Heer¬ ringen zu dieser Würde ernannt worden. Am 30. November 1909 verschied in Bad Kreuth Herzog Dr. Karl Theodor in Bayern, der am 9. August 1839 in Possen¬ hofen geborene Bruder der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Als tüchtiger Augenarzt und besonders als Staroperateur hatte er Tausenden und Abertausenden Trost und Hilfe gebracht und sein Name war weit über die Grenzen seines engeren und weiteren Vaterlandes wohlbekannt und volkstümlich. Am 22. Juli 1909 starb auf seinem Gut Alt=Ralhstedt bei Hamburg der moderne deutsche Lyriker Freiherr Detlev v. Lilien¬ cron; er war am 3. Juni 1844 in Kiel geboren. „Ein Dichter des Lebens“ so hat man ihn genannt! Am 27. Mai 1910 starb in Baden=Baden der am 11. Dezember 1843 zu Klausthal im Harz geborene berühmte deutsche Arzt und Gelehrte Prof. Dr. Robert Koch, der Entdecker der Bazillen (besonders 1882 Tuberkel= und 1883 Cholera=Komma¬ bazillen)

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