Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

88 Monats genehmigten Rücktritt des deut¬ schen Landsmannministers Dr. Gustav Schreiner, eines trefflichen Mannes, der mit ehrlichster und selbstloser Energie di schwer bedrohten Interessen der Deutschen im Ministerrat vertrat. Auch dieser Posten blieb vorläufig unbesetzt. * * * Ende August 1909 beging Tirol die Säkularfeier seiner heldenmütigen, von Andreas Hofer geleiteten Kämpfe gegen die Franzosen und deren Verbündete. Der Kaiser selbst war ins Land gekommen, um, umbraust vom Jubel seiner getreuen Tiroler, an der Säkularfeier teilzunehmen. Der Feier Haupttag war der 29. August 1909, und am Berg Isel bei Innsbruck wo die Tiroler unter Andreas Hofer am 25. und 29. Mai 1809 die Bayern und dann wieder am 13. August 1809 die Franzosen und ihre Verbündeten in todes¬ mutigem Ringen aufs Haupt schlugen, im Angesicht des Denkmals des großen Tiroler Freiheitshelden, spielte sich die eigentliche Gedenkfeier ab. Hier war es auch, wo Tirols Landeshauptmann Dr. Kathrein den Treuschwur der Tiroler erneuerte. Ein glänzender historischer Fest= und Schützenzug, welcher sich am 29. August 1909 bei „Sonnengold und reiner Berges¬ luft“ durch die Straßen Innsbrucks be¬ wegte, eine Festvorstellung im Innsbrucker Stadttheater und ein „Jahrhundertfeier¬ Landesfest= und Freischießen 1909“ auf dem Landeshauptschießstand zu Innsbruck waren die weiteren hervorragenden Mark¬ steine der Tiroler Säkularfeier. Am 30. April 1910 konnte die österrei¬ chische wie die deutsche bildende Kunst den 75. Geburtstag eines ihrer Größten unserer Tage, des am 30. April 1835 in Stronach — Tirol — geborenen und derzeit in München lebenden berühmten Genremalers Franz Defregger feiern.— Im Jänner 1910 wurde Dr. Alfred Freiherr von Berger an Stelle des zurückgetretenen Dr. Paul Schlenther zum Direktor des Wiener Hofburgtheaters ernannt, dessen Amtsgeschäfte er nach Ostern 1910 über¬ nahm. Möge es dem bewährten Drama¬ turgen, der in den letzten Jahren die Direktion des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg mit Geschick und Glück geleitet, gelingen, dem ersten deutschen Schauspiel¬ haus der Welt — dem er ja vom Herbst 1887 bis Februar 1890 als Sekretär für die literarischen Agenden bereits angehört hatte — seinen alten Glanz wieder zu ge¬ winnen. Am 7. Mai 1910 wurde in Wien eine Internationale Jagdausstellung ohne jeden Pomp eröffnet. Am 9. Jänner 1910, mittags, erfolgte in Raibl bei Tarvis eine schwere Einsturzkatastrophe. Auf einem Terrain von zirka 100 Quadratmeter tat sich plötzlich unter donnerähnlichem Getöse die Erde auf und das Werkspital des Ortes sank samt seinem Menscheninhalt in die Tiefe. Es stürzte dabei wie ein Karten¬ haus zusammen und ragte zuerst noch kaum einen Meter hoch aus der Erde. Wenige Sekunden später war das Spital in der Kluft, die zirka 150 bis 200 Meter tief sein mochte und sich im Laufe des Nachmittags mit Wasser füllte, verschwunden. Der Kata¬ strophe, welche man mit den unter Raibl sich hinziehenden Schachten der staatlichen und Graf Henckel=Donnersmarckschen Erz¬ bergbaue in Verbindung brachte, fielen auch mehrere Menschenleben —darunter die Familie des Werkarztes Dr. Vesely - zum Opfer. 8 * * *5 Einen schweren Verlust hat die Gemeinde Wien im Laufe unserer Berichtsperiode erlitten. Am 10. März 1910 starb in Wien nach langem, schwerem Leiden, fast ganz erblindet, aber noch in voller Amtswürde der Bürgermeister der Haupt= und Re¬ sidenzstadt Wien, Dr. jur. Karl Lueger. Man mag über Dr. Lueger als Politiker denken wie man will, als Bürgermeister von Wien hat er zweifellos Großes ge¬ leistet, er hat seine Vaterstadt nicht nur verschönt, sondern auch zur wahren Welt¬ stadt gemacht. Karl Lueger wurde am 24. Oktober 1844 als der Sohn eines Aufsehers des technologischen Kabinetts an der Technischen Hochschule in Wien ge¬ boren. Sein Leben war ein steter Kampf

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2