Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

86 Kabinetts Khuen=Hedervary war daher auch die von Baron Rauch am 3. Februar 1910 gegebene Demission, die auch vom Kaiser sofort angenommen wurde. An seiner Stelle wurde im Sinne vorhergegangener diesfälliger Verhandlungen des Minister¬ präsidenten Grafen Khuen=Hedervary mit Ka den Kroaten der gewesene Minister im To¬ binett Stefan Tisza, Dr. Nikolaus masic, eine in Kroatien beliebte und ge¬ achtete Persönlichkeit, am 5. Februar 1910 zum Banus von Kroatien ernannt, dessen oberster Programmpunkt die Wiederherstel¬ lung der verfassungsmäßigen Ordnung in Kroatien war. In Erfüllung dieses Pro¬ grammpunktes erfolgte denn auch die Ein¬ berufung des durch zirka zwei Jahre aus¬ geschaltet gewesenen kroatischen Landtages auf den 18. März 1910 und dessen Zusam¬ mentritt an diesem Tage zur Wiederauf¬ nahme seiner verfassungsmäßigen Tätigkeit. War so in Ungarn nach einer langen Periode schlimmer innerpolitischer Wirren und unfruchtbarer staatsrechtlicher Kämpfe die auch zu einer Erkaltung der Beziehun¬ gen zwischen Krone und Nation geführt, durch den in den Wahlen ausgesprochenen Willen der Nation das friedliche Einver¬ nehmen und die vollständige Harmonie zwischen Krone und Nation in einer Weise wieder hergestellt worden, die auch eine ge¬ deihliche Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Reichshälften verbür¬ gen konnte, war so auch in den Beziehungen zwischen Ungarn und Kroatien wieder der Friede herbeigeführt worden, so stand Öster¬ reich nicht unter einer gleich friedlichen Kon¬ stellation. Die immer wieder neu auf¬ tauchenden, respektive noch nie erloschenen nationalen Wirren ließen hier ein gedeih¬ liches gemeinschaftliches Arbeiten nicht auf die Dauer aufkommen. In Böhmen stehen sich die beiden dort lebenden Nationen Deutsche und Tschechen, zufolge des immer¬ währenden, mehr oder minder offenen Stre¬ bens der letzteren nach einer ihnen gar nicht gebührenden Hegemonie im Lande, feindlich gegenüber, und obwohl die wirtschaftlichen und finanziellen Zustände des Landes unter diesen Verhältnissen schwer leiden, war es trotz wiederholter diesfälliger Versuche der Regierung nicht einmal möglich, ein friedliches Zusammenarbeiten der beiden Volksstämme im böhmischen Landtage zu ermöglichen, so daß jeder Einberufung dieses Landtages dessen neuerliche Ver¬ tagung auf dem Fuße folgte. Auch in an¬ deren Ländern und Landtagen führte die feindliche Stellung der darin vertretenen Nationen zu mehr oder minder schweren Konflikten, im Abgeordnetenhaus aber konnte man nur durch eine im Dezember 1909 ad hoc erfolgte, in ihrer Geltungs¬ dauer bis 31. Dezember 1910 beschränkte gegen die Obstruktion gerichtete Abänderung der Geschäftsordnung manche Staatsnot¬ wendigkeit durchbringen; die feindselige Haltung der Slowenen gegen den Versuch den Wünschen der Italiener in der Uni¬ versitätsfrage entgegenzukommen und die aus diesem Grunde mutwillig inszenierte südslawische Obstruktion im Budgetaus¬ — schuß für Ausschüsse gilt die neue Ge¬ schäftsordnung nicht — hat aber gleich nach Schluß unserer Berichtsperiode, am 6. Juli 1910, die Vertagung des Reichs¬ rats herbeigeführt, obwohl wichtige soziale und anderweitige Vorlagen zur Beratung standen. Als wir unseren vorjährigen Bericht ab¬ schlossen, stand das im Februar 1909 be¬ stellte bureaukratisch=parlamentarische Mini¬ sterium Bienerth noch im Amt. Auch am Ende unserer diesmaligen Berichtsperiode stand noch Freiherr v. Bienerth an der Spitze des zisleithanischen Ministeriums aber der Personalstatus dieses Ministe¬ riums hatte im Laufe dieser Periode manche Anderung erfahren. Die Notwendigkeit, dem Vordringen des Slawismus auch in rein deutsche Kronländer einen Damm ent¬ gegenzusetzen, resp. das Deutschtum wenig¬ stens in gewissen Beziehungen zu schützen, hat — mit Zustimmung der Regierung die Landtage von Niederösterreich, Ober¬ österreich, Salzburg und Vorarlberg ver¬ anlaßt, im Oktober 1909 sogenannte Schutzgesetze zu schaffen, deren eines in erster Reihe (§ 1 und 2) die Festlegung der deutschen Sprache als Verhandlungs¬ sprache des Landtages und als Amts= und Geschäftssprache bei dem Landesausschuß

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