62 was sie tun und lassen sollen, und über ihre Handlungen absprechen. Lehren die Heuchler in der Sonntagsschule dich so das fünfte Gebot erfüllen? Herr Rinteln sagte mir, daß du lernen soll¬ test, deinen Vater ehren. Sagte er mir nicht, daß das eine der ersten Lehren sei, die Kinder bei ihm lernen?“ „So ist es, Vater. Er hat dir die Wahrheit gesagt. „Rinteln ist ein Lügner, und ich will ihm das Genick brechen, das erstemal, wenn er sich wieder hier an der Bucht sehen läßt. Ich habe ihn überdies in Verdacht, daß er spioniert, und wenn ich's ihm beweisen kann, so kann er wünschen, lieber dem Teufel als dem Klaas zu begegnen. Die Heuchler sind einer wie der andere, sie lehren euch Widersetzlichkeit gegen die Eltern, leh¬ ren euch, ihre Handlungen zu kriti¬ sieren und sie als Verbrecher zu be¬ trachten, obgleich sie ihr Brot von uns verdienen.“ Diese letzten Worte machten auf den Knaben einen Eindruck, den Klaas nicht begriff. Er zuckte zusammen, als hätte ein Schlag ihn getroffen, und es währte einige Minuten, ehe er seine Selbstherrschaft wieder gewann. Zum erstenmal in seinem Leben war es ihm eingefallen, daß er selbst ja auch von dem Brot äße, das er als „der Sünde Lohn“ kannte, und in diesem Augen¬ blicke faßte er den Entschluß, daß kein Bissen dieses Brotes ferner mehr seine Lippen berühren solle. Die rauhe Stimme eines Strand¬ räubers weckte ihn aus diesen Betrach¬ tungen, mit der höhnischen Frage, über was er denn studiere. Vater,“ sprach Walter jetzt, „du kannst dich darüber nicht täuschen, nie¬ mand als du weiß besser, daß kein Vater das Recht hat, sein Kind zu dem zu zwingen, was gegen die Gesetze Gottes und der Menschen verstößt, was so schlimm ist als Schweig!“ brüllte Klaas, „ich will keine Predigt. Hier, nimm das Seil und winde die Laterne auf.“ „Vater, ich bin bereit, jeden deiner erlaubten Befehle mit Gefahr meines Lebens zu erfüllen, aber eine so große Sünde kann ich und will ich nicht be¬ gehen.“ „Du wirst's tun — Sünde oder nicht Sünde! Wer heißt dich richten? Und mag's Sünde sein, mag's das größte Verbrechen sein, was geht's dich an, das ist meine Sorge. Es wird mir das Gewissen nicht beschweren, so lange niemand als unsere Gefährten da sind, die es sehen.“ „Gott sieht es, Vater!“ „Ich habe dir schon gesagt, daß ich keine Predigt mag. Winde die Laterne — oder auf! Hörst du Der Zorn ließ den Wütenden nicht weiter reden. Sein Gesicht war finster wie die Mitternacht, und selbst die ver¬ härtetsten der Strandräuber bebten bei seinem Anblick. Am ruhigsten erschien der Knabe. Sein Entschluß war gefaßt, nichts konnte ihn wankend machen, so sprach er denn ernst und feierlich: „Vater, ich würde es nicht tun, und schlügst du mich, bis ich tot nieder¬ sänke, mit deiner mörderischen Keule, um meinen Leichnam dann ins Meer zu werfen. Aller Augen waren auf Klaas ge¬ richtet, denn jeder befürchtete eine gräßliche Tat. Doch kaum wären jene Worte den Lippen des Knaben ent¬ lohen, als zum Erstaunen eines jeden das Gesicht des wütenden Vaters töd¬ lich bleich ward, die Keule seiner Hand entsank und er mit wildem Blick den schwarzen Busen des Ozeans anstarrte, als sähe er ein furchtbares Gespenst dort aufsteigen. Doch diese Bewegung währte nur einen Augenblick. Im nächsten gewann er seine Fassung wie¬ der und sprach, sich zur Lustigkeit zwin¬ gend, mit starker Stimme: „Walter, ich frage dich zum letzten¬ mal, willst du die Laterne aufwin¬ den?“ Der Knabe schüttelte den Kopf. So bist du mein Sohn nicht mehr. Geh' und laß dich nicht wieder vor mir sehen.“ „Leb' wohl, Vater“, sprach der Knabe
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