Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

58 und Meister müssen wir immer ge¬ wärtig sein, und du hast alles mögliche getan, mir dies begreiflich zu machen.“ Klaas hätte ohne Zweifel seine Dro¬ hung zur Tat werden lassen, wäre in diesem Augenblicke nicht ein schönes Kind, ein Knabe zwischen zwei und drei Jahren, auf ihn zugelaufen. Dieses Kind war das einzige Wesen, welches Klaas liebte, und er, der weder Gott noch Menschen, weder Hölle noch Teufel fürchtete, scheute sich, in Gegen¬ wart dieses Kindes seiner Roheit die Zügel schießen zu lassen. „Ha! Ha!“ lachte das Weib. „Ist's möglich! Hältst du ihn wirklich noch für zu jung für des Teufels Schule? Nun, es schadet nichts, hat er erst ein¬ mal angefangen, wird er die verlorene Zeit schon wieder einbringen. Klaas ist des Satans bester Schulmeister, die ganze Hölle liefert nicht seinesgleichen, wenn es darauf ankommt, die Jugend zu belehren im Gebrauch der Mord¬ waffen, und einen Knaben für den Galgen oder für die Galeere zu erzie¬ hen. Ha! Ha! Ha! Ha!“ Klaas schleuderte seine finstersten Blicke auf die Höhnende, zielte jetzt mit seiner schweren Keule nach ihrem Haupte, wie er vorher nur gedroht und hätte sie getötet, wäre sie nicht mit einer geschickten Bewegung ausgewichen Abermals brach sie in schauerliches Hohngelächter aus, richtete sich dann auf zu voller Höhe und sprach, ihre knöcherne Hand erhebend, mit feierlich beschwörendem Tone: „Am Tage, da ich das Unglück hatte dich kennen zu lernen, war ich so un¬ schuldig wie dieses Kind. Ich war der Stolz meiner zärtlichen Eltern, eine geliebte und liebende Tochter, in einer freundlichen Heimat lebend. Du kreuz¬ test meinen Pfad, deine Berührung be¬ fleckte mich, mein Vater verstieß mich und fluchte mir an dem Tage, da mei¬ ner Mutter das Herz brach. Statt mich aufzunehmen und zu beschützen, wie du im Angesicht des Himmels geschworen, überhäuftest du mich mit Schmach und Hohn, und ich ward ein Abschaum meines Geschlechtes ein Auswurf der Menschheit. Und doch schwurst du mir auf den Knien, da du diesen Seelen¬ mord begannest, daß du mich mehr liebest als das Leben! So beteuerst du jetzt, dieses Kind zu lieben, doch wenn es nicht schon ein Teufel ist, ehe es Zeit hat, ein Mann zu werden, ist es gewiß nicht deine Schuld! Höre, Klaas Ich habe wenig Ursach', den Knaben zu lieben, dessen Mutter den Platz ein¬ nahm, der mir gebührte, doch bin ich noch immer Weib genug, um den Sohn eines solchen Vaters zu bemitleiden. Ich weiß — Gott sei mir gnädig daß ich ein von Sünde und Leiden und Schmerz fast erdrücktes Geschöpf bin, doch ich spreche die Wahrheit, wenn ich dir sage, daß eine Stimme von jen¬ seits des Grabes, dem ich rasch zueile mir heute Nacht zuflüsterte, daß, wenn du wagst, den armen Knaben zu deiner Verworfenheit herabziehen zu wollen eine Rache dich ereilen wird, entsetzlich genug, um selbst dein durch Verbrechen verhärtetes Herz zu erschüttern, eine Rache, gegen deren Graus die Qualen der Verzweiflung dir Wohltat scheinen werden. Ich weiß, ich habe nicht lange mehr zu leben, und wenn der Tod nahe, wird der Menschenseele zuweilen ein Zipfel des dunkeln Schleiers, der die Zukunft verhüllt, gelüftet. Beachte also meine Warnung wohl, Klaas, sonst wird der Fluch der durch dich vernich¬ teten Seele auf deinem sündenbelade¬ nen Herzen lasten, so lange, bis es zu schlagen aufhört. Die große Gestalt, mit dem wilden, finsteren Zigeunergesicht und den stechenden, durch die Dunkelheit glü¬ henden Augen, hätte hingereicht, man¬ chen starken Geist zu erschrecken. Doch Furcht war der Seele des Strandräu¬ bers fern, und so niedrig auch seine jetzige Stellung, die Folge eines zügel¬ losen, gesetzfeindlichen Lebens war machten Verstand und Erziehung ihn doch unzugänglich für abergläubische Besorgnisse, denen seine Genossen leicht

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