Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

56 auf Fritzens Wunsch, wohl auch auf seine Kosten, großartiger werden, als alle früheren. Er fuhr mit seiner schö¬ nen Frau hin, geleitete sie in den Saal hinauf und setzte sich dann zu Trunk und Karten. Um Nore kümmerte er sich nicht mehr. Als aber um Mitter¬ nacht, gerade wie damals auf Born¬ stedt beim Erntefest, Ruhestunde war, war Fritz verschwunden, doch diesmal mit der roten Suse. Nore saß am Fenster und hörte die alte Weise: „Ach, wenn du wärst mein Eigen“ tönen. Sie erhob sich und stand nun wie fest¬ gebannt, in den Garten spähend. Da rauschte der Nachtwind in den Bäu¬ men, die Zweige teilten sich, das Mond¬ licht zeigte der unglücklichen Frau, damit ja alles wie damals sei, Suse in Fritzens Armen. Und leise ertönte und verhallte noch einmal: „Ach, wenn du wärst mein Eigen!" Der Ball dauerte noch lange. Fritz und Suse sah man nicht mehr; Nore fuhr allein nach Hause. Nun war es mit Ruhe und Frieden auf Bornstedt zu Ende. Nore saß wei¬ nend in einem stillen Winkel und Fritz war selten daheim, sondern fast immer im „Stern“. Eines Morgens aber blieb er da, und das hatte seinen Grund. Im Laufe des Vormittags kamen einige „ von den fremden Geschaftsleuten, die hatten Gerichtsdiener mit. Wie freund¬ lich nun Fritz auch tat und wie große Versprechungen er machte, sie schrieben alles zur Pfändung auf. Da erfuhr Nore, daß Fritz Geld, viel Geld ge¬ borgt und sich um die Zinsen gar nicht gekümmert hatte. Nun aber erinner¬ ten ihn seine Gläubiger täglich an sein Elend, sie stürmten von allen Seiten auf ihn los. Geräte, Acker, Wiesen und Wälder kamen zum Verkauf, kaum daß das Herrenhaus mit dem Garten noch blieb. Wieder vergingen Monate. Da kam eines Nachmittags, als Nore traurig dasaß, Fritz wild hereingestürmt. „Ich muß das Perlengeschmeide von deiner Mutter haben,“ begann er her¬ risch, „meine Gläubiger drängen mich. Deine anderen Kostbarkeiten sind be¬ „ reits verkauft und verpfandet!" Zum erstenmal widersprach Nore ernstlich: „Nie werde ich mich von den Perlen meiner Mutter, die sich in ihrer Familie seit alter Zeit vererbten, tren¬ nen, es ruht ein geheimer Segen auf ihnen; gebe ich sie her, so sind wir ganz verloren!“ „Das sind wir mit den Perlen auch, verlaß dich darauf, und um alles wei¬ tere Gerede zu vermeiden, werde ich das Kästchen nehmen, da du es nicht geben willst“, sprach Fritz mit barscher Stimme. Dann schob er Nore unsanft bei Seite, riß die Truhe auf, in der sie, wie er wußte, die Perlen aufbewahrte und steckte gierig die Hand nach dem Kleinod aus. Da raffte sich die arme Nore ver¬ zweiflungsvoll auf, ergriff das Ge¬ schmeide unter seinen Händen und wollte damit zur Tür hinaus. Fritzens Wut stieg aufs äußerste. Mit gewalti¬ gem Griff entriß er Nore das Käst¬ chen und versetzte der sich Sträubenden mit der scharfen, silberbeschlagenen Kante desselben einen Schlag ins Ge¬ sicht, worauf sie betäubt zu Boden sank. Fritz aber floh mit seiner schmach¬ voll errungenen Beute. Es währte lange, ehe Nore sich erholte. Als ihr aber die Besinnung und das Gedächt¬ nis wiederkehrten, da besah sie ihr Un¬ glück vollkommen. Auch das letzte, das Familienheiligtum, hatte er ihr ge¬ raubt; er, dem sie alles, Glück, Ruhe und Gewissen geopfert hatte. Fritz war nach dem Auftritt in die Stadt gefahren. Als er gegen Abend heimkehrte, suchte er gleich sein Schlafzimmer auf Für Nore war es ein schrecklicher Tag gewesen! Abends ging sie in den Garten. Langsam wandelte sie zu dem Weiher hinab, lange war sie diesen Weg nicht gegangen. Seltsam weh¬ mütige Gedanken stiegen in ihr auf der Vollmond spiegelte sich in den

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