50 jenes Zuges vorgelegt, welche in der Residenz wohnten. Sämtliche Personen hatten nun mit Sicherheit in dem Ab¬ gebildeten Herrn von Woidianu selbst wiedererkannt. Wurms unmittelbarer Vorgesetzter empfing ihn mit einem Gemisch von Arger und Spott. „Mein Lieber", sagte er. „Sie haben uns mit Ihrem an sich lobenswerten Eifer in eine schöne Patsche gebracht. Die ganze Mordgeschichte fällt in sich zusammen. Man muß die Armste sofort freilassen. Da sehen Sie! Unser Schweizer ist in der Tat Herr von Woidianu! Was wir für ein Märchen, für die raffinierte Erfindung eines Verbrecherpaaresge¬ Es halten haben, ist wahr geworden! geschehen eben doch noch Zeichenund Wunder! Man sieht da wieder, daß auch Erzählungen, die von vornherein etwas abenteuerlich klingen, durchaus richtig sein können, und daß man Kri¬ minalsachen nicht nur immer von der für den Angeschuldigten nachteiligen Seite behandeln darf! Nun sitzt die be¬ dauernswerte junge Dame seit Wochen und all das zum Lohne dafür, daß ihr gleich beklagenswürdiger Mann aus einem schlecht verwahrten Eisen¬ bahncoupé gestürzt ist und auf eine Weise gerettet wurde, die freilich ans Fabelhafte grenzt, aber jetzt nicht län¬ ger angezweifelt werden kann! Wenn Sie die verschiedenen großen und klei¬ nen Fauxpas, die Sie in dieser Sache doch wohl begangen haben, wenigstens einigermaßen wieder gutmachen wollen, bringen Sie gefälligst alle diese Er¬ hebungen schleunigst zu Gericht, damit die Entlassung der Dame keine Minute mehr verzögert wird! Wir werden ohnedies höchst wahrscheinlich noch von ihr und ihren Verwandten eine Suppe eingelöffelt bekommen — ganz abge¬ ehen von der Presse, vor deren Kritik unseres Vorgehens mir heute schon graut!“ Wurm antwortete nichts sondern entfernte sich mit den übergebenen Aktenstücken unter einer stummen Ver¬ beugung. „Er ist ganz niedergeschmet¬ tert von dem Ausgang der Sache!“ sagte sein Chef zu einem Kollegen. „Eigentlich tut er mir leid! Aber man sieht da wieder, wohin der Übereifer auch einen sonst klugen und tüchtigen Beamten führen kann! Frau von Woidianu wurde noch am selben Morgen entlassen. Vereint mit ihrem Gemahl fuhr sie in ihre Woh¬ nung und rüstete sofort dort alles zur Abreise mit dem nächsten Zuge. Sie hatte für die Entschuldigungen, die man ihr sagte, nur ein stolzes, beinahe verächtliches Schweigen. Während sie im Packen begriffen und ihr Mann momentan weggegan¬ gen war, um noch irgend etwas zu be¬ sorgen, erschien indessen plötzlich Wurm neuerdings bei ihr. „Gnädige Frau, sagte er, „ich über¬ bringe Ihnen Ihre Papiere.: Ihrer Abreise steht nichts mehr im Wege! Dagegen bedauere ich, Ihnen mit¬ teilen zu müssen, daß wir Ihren Mann noch für kurze Zeit hier benötigen. Er hat sich unter falschem Namen hier an¬ gemeldet und eingemietet und hat hier¬ wegen noch seine Bestrafung zu gewär¬ tigen! Wollen Sie ihm daher, wenn er zurückkommt, mitteilen, daß ich ihn später wieder besuchen werde! Sie sah ihn einen Augenblick mit starren Augen und wutbebenden Lip¬ pen an. Dann plötzlich zuckte es höh¬ nisch in ihrem Gesicht auf. „Gut!“ ent¬ gegnete sie. „Tun Sie, was Sie wollen Jedenfalls will ich allen weiteren Plackereien entgehen. Ich werde unter allen Umständen mit diesem Zuge fah¬ ren — ich will von hier fort sein, wo mir so entsetzliches Unrecht geschehen ist —mag mein Mann mittags fol¬ gen!“ Wurm verbeugte sich und ging. Die Koffer waren gepackt. Die Dame fuhr zur Bahn und begab sich auf den Perron. Eben wollte man den großen Reisekorb, den sie wie bei der Herfahrt in ihrem eigenen Coupé zu haben wünschte, in den Wagen stellen,
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