48 Wahrheit gesagt, man möge sie gefan¬ gen halten, solange man wolle, aus ihr werde man etwas Weiteres nicht mehr herausbringen. Die Sache geriet ins Stocken. Tag um Tag, Woche um Woche verging, und man sah sich vor die peinliche Frage ge¬ tellt, ob man in einer Angelegenheit, in der eine Aufklärung nicht zu finden und die Verhaftete der ihr zur Last gelegten strafbaren Handlung nicht zu überweisen war, ihr noch länger die Freiheit entziehen durfte. An Bela von Woidianu war lediglich die Aufforde¬ rung gerichtet worden, wenn er die Un¬ schuld der Verdächtigten behaupte, solle er sich dem inländischen Gerichte stellen und Zeugenschaft für sie ablegen, da bei einer so wichtigen Angelegenheit eine kommissarische Vernehmung im Ausland nicht genügen könne. Natürlich war dieser Aufforderung eine Folge nicht gegeben worden. Indessen kam aus der Schweiz der Bericht, daß der angebliche Gatte der Gefangenen dort einige Tage nach Empfang dieser Zuschrift verschwunden war, ohne daß man Anhaltspunkte für das Ziel seiner Reise gehabt hätte. Inzwischen mußte man sich damit be¬ gnügen, das Treiben der Verhafteten in ihrer Zelle weiter zu verfolgen, ohne daß dies zu einem Resultat führte. Die emsigen Forschungen, welche man den Strom hinunter angestellt hatte, blieben gleichfalls ohne jedes Ergebnis. Man fand keine Spur, die dazu gedient hätte, zu ermitteln, was aus dem in die Wogen Gestürzten ge¬ worden war. Insbesondere hatte die Umfrage in all den kleinen Dörfern, welche nahe dem Ufer angesiedelt waren, zu keiner Aufklärung der Sache geführt. Nirgends wollte man von dem Fremden etwas gesehen oder gehört haben. Der Groll gegen Wurm wuchs bei vielen. Er hatte eine Situation ge¬ schaffen, wie sie gleich fatal selten vor¬ tag. In allen anderen Fällen kam es früher oder später in dieser oder jener Richtung zu einer gewissen Erledigung. Man konnte genügende Anhaltspunkte entweder für die Schuld oder für die Unschuld eines Angeklagten sammeln, und seine Verurteilung oder Freispre¬ chung war die Folge davon. Hier aber durfte niemand daran denken, die Ver¬ haftete so, wie die Dinge lagen, unter der schweren Anklage des Mordes vor die Geschwornen zu stellen, da ihre Freisprechung die sichere Folge und zu erwarten gewesen wäre, daß man in der Öffentlichkeit sich auf das ab¬ fälligste geäußert hätte, wenn bekannt wurde, daß eigentlich nur eine Reihe von Mutmaßungen, aber keinerlei strikte Be¬ weise gegen Frau von Woidianu vorlagen. „ Der Kommissar verlor zwar auch in dieser unangenehmen Situation seine Ruhe nicht. Aber die Sache ging ihm doch sehr im Kopf herum, und er be¬ schäftigte sich in allen Stunden, die ihm irgendwie dafür übrig blieben, ausschließlich mit ihr. Die Anschauung, welche er von Anfang an gefaßt, aber noch niemandem zum Ausdruck ge¬ bracht hatte, hielt er auch jetzt noch in geheimster Seele fest. Aber er wußte nicht, wie ihr Geltung verschaffen, wie sie belegen und mit ihr durchdringen. So stand er wieder eines Nachmit¬ tags im Korridor des Gefängnisses und beobachtete die Verhaftete durch den Schieber an der Zellentür. Sie saß mit dem Rücken gegen ihn und starrte nach dem kleinen Fenster empor, durch das der blaue Himmel und die Frei¬ heit lockend zu ihr herabsah. Das Fen¬ sterchen war geöffnet; denn es war mild und schön draußen, und man versagte daher der Gefangenen die frische Luft nicht. Da erhob sie sich plötzlich und stieg mit katzenartiger Behendigkeit auf den Stuhl, dann von diesem auf den Tisch, neigte sich gegen das Fenster hin und hing nun mit einem Male an dem Eisen¬ gestänge des Gitters. Sie hielt sich mit einer Hand fest und machte mit der anderen heftige Zeichen und Bewegungen. Wurm war einen Moment starr vor Überraschung.
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