46 raten des Arztes hieher zurückgezogen. Alle Forschungen nach seiner Gattin, die er bisher angestellt, seien erfolglos gewesen, was er sich nun freilich sehr wohl erklären könne, da man ja seine Frau, wie er jetzt mit Entsetzen und Entrüstung den Zeitungen entnehme unter einem so schändlichen und unge¬ rechten Verdachte festgenommen habe und gefangen halte. Man war im ersten Augenblick rat¬ los über diese neue Wendung der Dinge Alsbald aber kam man zu der über¬ einstimmenden Anschauung, daß es sich hier lediglich um eine Finte handle, um einen Versuch des Komplizen der Verhafteten, auf diese Weise die Frei¬ lassung seiner Gefährtin herbeizufüh¬ ren. Man lächelte über das schlaue aber eigentlich doch, im Grunde ge¬ nommen, plumpe und durchsichtige Ma¬ növer und beschloß, der Gefangenen vorerst nichts zu sagen, sondern durch die Schweizer Behörde vorsichtige Er¬ kundigungen über den Absender des Briefes einziehen zu lassen. Gleich¬ zeitig ersuchte man, wenn möglich, eine Photographie desselben beizubringen. Was die Aufklärung über die Per¬ son des Briefschreibers betrifft, so ge¬ wann man auf diese Weise allerdings nicht viel. Es konnte lediglich konsta¬ tiert werden, daß sich Bela von Woi¬ diann unter diesem Namen in einem Hotel eingemietet hatte und dort das Leben eines wohlhabenden und gebil¬ deten Mannes führte, dessen Papiere sich anscheinend in schönster Ordnung befanden. Dagegen war es gelungen, von ihm bei einem Spaziergang, ohne daß er es bemerkte, eine photogra¬ phische Aufnahme zu machen. In dem Bilde, das wohl getroffen war, erkannte Wurm ebenso wie ver¬ schiedene Personen der Nachbarstadt sofort den Begleiter der Verhafteten wieder, und mit dieser überraschenden Entdeckung war denn die Sache aufge¬ klärt, wie man vermutet hatte. Nun wollte man doch versuchen, ob sich die Verhaftete unter dem Eindrucke dieses Überführungsmittels nicht zu einem Geständnisse herbeilassen würde. Man legte ihr unverhofft die Photo¬ graphie vor und fragte sie, ob sie den darauf abgebildeten Mann nicht kenne. Einem scharfen Beobachter hätte es scheinen können, als ob sie einen Mo¬ ment erschrocken zusammengezuckt wäre. Aber es konnte dies auch eine Täu¬ schung sein. Denn sie verneinte gleich darauf die gestellte Frage kühl und ruhig. Dann zeigte man ihr den Brief und fügte bei, daß ihre Erklarung doch eine sehr auffallende wäre, weil es sich zwei¬ fellos um eine ihr sehr nahe stehende Person, ja, wie nach dem Schreiben an¬ zunehmen sei, um ihren Mann hand e Jetzt allerdings war die Überraschung bei ihr eine offensichtliche. Im ersten Moment entfuhr ihr sogar ein kurzer Ausruf, den man aber nicht verstand. Der Dolmetsch, welcher zu der Unter redung beigezogen worden war, be¬ hauptete, es sei ein Schimpfwort ver¬ ächtlichen Inhalts gewesen — ungefähr so viel wie „Tölpel!“ oder „Einfalts¬ pinsel!“ Den Beamten sagte die Gefangene, sie sei von der plötzlichen Überrumpe¬ lung so aufgeregt und verwirrt, daß sie jetzt nichts weiter erkläre; man solle nicht mehr in sie dringen, sie gebe doch keine Antwort. Man führte sie in ihre Zelle ab. Wurm, welcher dieser ganzen Szene schweigend beigewohnt hatte, blieb in der Nähe, nachdem man die Fremde in ihren Haftraum untergebracht hatte. Als die Schritte der Wärter verhallt waren, trat er geräuschlos an die Tür und nahm den kleinen Schieber zurück durch den man, von innen unbeobachtet, die Zelle überblicken und die Insassin bei ihrem Tun und Treiben verfolgen konnte. Frau von Woidianu saß zuerst re¬ gungslos auf ihrem Stuhl unter dem schmalen kleinen Fenster, das oben in der Wand angebracht war. Sie sah da¬ bei nach der Tür und schien den Weg¬ gegangenen nachzulauschen.
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