Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

20 achtet vor ihm stand. Sollte er noch mehr Schimpf und Spott über sie bringen? Nimmermehr! „Der Veitl is unschuldig!“ sagte Leni, obgleich er schwieg. „Führts mich zum Martl — ich will ihm die Sünd' abbitten — dann sperrts mich ins Ge¬ fängnis!“ „Zum Martl! Zum Martl!“ drängte es von allen Seiten und wohl oder übel mußte der Gendarm nachgeben. Der wundkranke Meierhofsohn lag schon im Schlummer, als der ganze Volkshaufe vor dem Hause ankam. Die Eltern wollten erst niemanden ein¬ lassen — der Arzt hätt's streng ver¬ boten; als sie aber hörten, worum es sich handelte, daß Veitls Unschuld auf dem Spiele stand, daß Leni sich selbst so fürchterlich angeklagt, da wider¬ strebten sie nicht länger. Rasch hatte ich die kleine Stube gefüllt mit denen, die auf den Zehenspitzen eingetreten waren und mit gezogenen Hüten um das Bett standen. Eine rote Ampel ver¬ breitete sanftes Licht im Zimmer und zauberte den rosigen Schein des Lebens auf die blassen Wangen des Kranken, zu dessen Häupten seine treue Pflegerin Vroni stand. Als Leni das bleiche Antlitz Martls erblickte, sank sie mit heftigem Schluch¬ zen an seinem Bette nieder und benetzte mit ihren Tränen seine Hand. Dar¬ über erwachte der Leidende für eine Minute zu vollem Bewußtsein. „Martl,“ sagte der Höhbauer, „Martl, ich bitt' dich, red' wenn kannst! Wer hat dich verwund't? Der Veitl? Wer sonst? Red'!“ „Hennes!“ flüsterte der Kranke fast unhörbar. Dann schwanden ihm die Sinne wieder. Mit einem Jubelruf umschlang Veitls Mutter den wiedergefundenen Soh. „Schau, Muatterl,“ stammelte er jetzt, „ich hab' halt damals droben an der Wand a Bergwiesel g’schossen, weil ich g'meint hab’, mit dem seinem Blut könnt' ich die Leni behexen! Dabei hat mich der Hennes überfallen, hat Geld und Uhr von mir wollen — sonst zeigt er mich wegen Wilderns an! Wir haben g’rauft! Ich bin ihm auskommen! Aber den Martl wird er halt, weil's der mit¬ angeseh'n hat, über d’ Wand 'runter¬ g’worfen haben!" Schaudernd lauschten die Leute dieser Enthüllung. Den Hennes aber und seinen Vater — fand keiner den alten Klaus mehr. 9. Kapitel. Fünf Jahre später war's. Im Herbstabendgold auf der Höhe hinter dem Meierhof saß der längst genesene junge Meierhofer mit Vroni, seiner blühenden Frau und dem vierjährigen Stammhalter, den sie ihm geschenkt hatte. Die Großeltern sahen glücklich dem Spiele des Kleinen zu. Da kam von fern ein Jauchzen und Jodeln über die Felder her. „Wahrhaftig!“ rief Martl, der die Augen mit der Hand beschattet hatte. „Der Veitl ist's! Und diesmal endlich kommt er nicht allein vom Kloster zu¬ — die Leni ist bei ihm! rück „Gott sei Dank!“ murmelte seine Mutter. „Die fünf Jahre im Kloster hat sie genug gebüßt und sie darf ihn chon endlich erhören — er hat's red¬ lich verdient um sie!“ Alle schritten dem Paar entgegen, hinter dem der Höhbauer vergnügt chmunzelnd nachfolgte. Als man sich nahe gekommen war, trat Leni vor. „Grüß Gott beieinand!“ agte sie schlicht und sah offen ohne Scheu empor. „Der Veitl hat mich g’holt! Ich will ihm ein treues, braves Weib sein! Ich hab' viel an ihm gut zu machen! So viel wie an euch! Wenn das nicht wär', wär ich im Kloster blieben! So nehmts mich halt freund¬ nachbarlich auf, bis ich's euch beweisen kann, daß ich einen redlichen Willen und ein gutes Herz hab’, und daß die andere tot is und verschwunden — die Totbeterin“!“ Ende.

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