Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

14 Der alte Bauer schaute zuerst um sich Dann rief er den Burschen an: „He du hast 'n Martl net g'seh'n heut Nacht? Veitl schrak zusammen. 57 „Heut Nachte stammelte er. „Heut Nacht! I war a heut Nacht daheim gewiß is 's wahr! Damit lief er förmlich weg. Der Bauer schüttelte verwundert den Kopf. „Der is wohl net ganz bei Trost!“ murmelte er. So kamen sie auf den Feldweg hin¬ aus Der Höhbauernhof lag mit schim¬ mernden Fenstern vor ihnen. Der Meierhofer seufzte tief auf, als er ihn ah. Dann schweifte sein Blick darüber hinweg an der Berghalde empor bis zur Steinwand, die stolz, schroff und bleich in den blauen Himmel aufragte. Da kam ihnen ein Hirtenbub atemlos entgegengelaufen und wollte mit kurzem Gruß vorbei. „Wo rennst denn hin, Seppl?“ fragte der Oberknecht. „Runterg'fallen is einer“, keuchte der Bub und verschnaufte ein wenig. „Den Herrn Pfarrer hol' i und den Bader und den Gendarm!“ „Wird wohl wieder so ein Bergkrax¬ ler sein“ meinte der Knecht. Das Gesicht des Meierhofer war totenblaß geworden. „Wer is 's? Wo liegt er?“ stieß er heraus und umklammerte den Arm des Buben mit eisernem Griff. „I weiß 's net!“ sagte der erschrocken. „D' Holzknecht hab'n ihn gefunden und hab'n mich ang'rufen von weitem, daß ich ins Dorf lauf'.“ „Lauf zu!“ sagte der Bauer. „Lauf zu, was dich d’ Füße tragen — kriegst und daß a neues G’wand von mir — ja der Herr Pfarrer bald kommt!“ Der Bub sah ihn erstaunt an — dann rannte er pfeilgeschwind davon. Der Meierhofer sah seinem Ober¬ knecht fest ins Gesicht. „Mir is 's,“ als müßt 's der Martl sein, den s’ g'funden hab'n! „Wird doch net sein, Bauer!“ rief der Oberknecht erschrocken. „Komm!“ befahl sein Herr. Dann schritten sie rasch — mehr im Laufe — den Höhen zu. Der Höh¬ bauernhof lag einsam: es schien alles draußen bei der Feldarbeit zu sein. Die beiden Männer eilten den steiler wer¬ denden Weg empor über die Berghalde der Steinwand zu. Der Oberknecht brach voran durchs Gebüsch — der Bauer hielt einen Moment an. Der sein Gedanke, daß es sein Sohn — Einziger sein könnte, daß er tot wäre, überwältigte ihn. „Lieber die Vroni zum Weib — nur dös net!“ murmelte er. Dann folgte ei dem Knecht und trat mit wankenden Knien aus dem Strauchwerk. Dort, dicht am Fuße des Gewändes kauerten drei Holzknechte beieinander über einen dunklen Gegenstand ge¬ beugt. Nun, da sie die Schritte vernah¬ men, sahen sie sich um. Als sie den Meierhofer erkannten, erhoben sie sich alle drei unwillkürlich Das war sein Platz allein — da durfte ihm keiner im Wege stehen So lag der Abgestürzte plötzlich frei vor seinen Augen. „Martl! Martl!“ rief der Oberknecht dem die hellen Tränen aus den Augen stürzten, und kniete sich zu dem verun¬ glückten Freunde. Der Bauer aber stand wie ein Stein¬ bild. Kein Nerv zuckte an seinem ganzen Leibe; seine Augen waren au das wachsbleiche, stumme Antlitz des Sohnes geheftet. „Is er tot?“ fragte er dann heiser. Der Oberknecht lauschte an der Brust des Erstürzten. 17 7 „J hör nix: flüsterte er. „Es rührt sich nix!“ Der Bauer griff um sich, als suche er einen Halt. Dann brachen ihm die Knie ein und lautlos sank er vor seinem Sohn hin, den Kopf an dessen Schul¬ tern bettend. Von den drei braven Holz¬ knechten traute sich keiner zu rühren. Sie nahmen still die Hüte ab und

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