Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

82 man hier bei der Verankerung des Ballens nicht mit der nötigen Vorsicht vorgegangen, denn als sich ungefähr um I Uhr nachmittags plötzlich ein gewaltiger Stnrin erhob, wurde das iu Repara ­ tur befindliche Luftschiff durch deusclbeu vom Liegeplätze losgerisseu, so das; sein rückwärtiger Teil hoch in die Lnft ragte. TerWirbelstnrm warf nun den haltlos gewordenen Kolos; streckcnwcit gegen Obstbäume, welche durch die Gewalt des Anpralles völlig geknickt wurden. Dann schoß auf einmal vor den Augen Tausender von Zu ­ schauern, die herbeigeeilt waren, das gelandete Luftschiff zu scheu, aus dem Ballou eine Niescnflamme zum Himmel empor, die in kurzer Zeit das ganze Luftschiff erfaßte uud völlig vernichtete, ohne daß — bis heute — die eigentliche Ursache des Brandes fcstgcstellt werden konnte. So folgte dem Trinniphe des stolzen BancS dessen Ver ­ nichtung auf deu; Fuße, aber der Triumph ist deshalb kein kleinerer geworden. Noch nie hatte bis dahin ein so großer Ballon eine so lange Strecke — wie sie der Zeppelinsche Ballon am 4. und 5. August 1908 durchflogen — mit Zu ­ hilfenahme des Motors und unablässig der Len ­ kung gehorchend, zuriickgclcgt. Wenn auch theore ­ tisch unter gleichen äußeren Bedingungen die Halbstarren französischen Lenkballons die gleichen Leistungen vollbringen müßten — praktisch haben sie cs bisher noch immer nicht gezeigt! Das Unheil hat aber auch eiu großes Geschlecht gefunden: das Deutsche Reich hat dem kühnen Luftschiffcr sofort 500.000 Mark aus der Ent ­ schädigung von 2 Millionen, die er für Ucbcrlnssung seines Lnftschiffes nach einer völlig abge ­ schlossenen Fernfahrt erhalten sollte, ausgezahlt und das deutsche Volk hat mit rascher Tat einen freiwilligen Zeppelinfonds geschaffen, für den bereits am 8. August zirka 2V- Millionen Mark gezeichnet waren. Graf Zeppelin selbst aber ist, wohl gebeugt durch sein Mißgeschick, aber nicht zerschmettert, sofort wieder an die Arbeit ge ­ gangen, um dem ersten Zeppelin einen zweiten folgen zu lasse», und nach verschiedenen früheren kleineren Versuchen umkreiste bereits am 23. Ok ­ tober 1908 ein ucucr Zeppelin nach Vornahme verschiedener Einleitungsmanöver viermal den Bodensee in zirka dreistündiger wohlgclungener Fahrt. Auch dieser neue Zeppelin erlitt freilich dann später bei Göppingen eine, wenn auch leichtere Havarie. * * Aus dem Gebiete der inneren Reichspolitik hat die Einbringung neuer, zur Sanierung uud Auf ­ frischung der Reichs- und Buudesstaatcnfiuauzcn bestimmter großer Steuervorlageu zu einer Block ­ krise geführt. Die Konservativen haben ihre Zu ­ stimmung zur regierungsseitig proponierten Erbaufallsteucr verweigert, die freisinnigen Parteien wieder gegen verschiedene von den agrarischen Konservativen willkommen geheißene, respektive proponierte anderweitige, die weniger be ­ güterten Volksklasscn, respektive die Industrie schwer schädigende Steuern — darunter die Wertzuwachsstcuer — Stellung genommen. Da ­ mit war der Konflikt zwischen den beiden Teilen des konservativ-liberalen Blocks, auf deu Reichs ­ kanzler Fürst Bülow seine innere Politik stützen nullte und auch während des Bestandes des Blocks gestützt hatte, gegeben und an Stelle des derart brüchig gewordenen alten Blocks trat ein neuer konservativ-klerikaler Block in die Erscheinung, dessen Steuerpolitik schließlich auch zu einer Kanzlerkrise führte. Al« cs klar war, daß der neue Block sich zu jener Steuerpolitik nicht be ­ kennen wollte, welche Fürst "Bülow als die für das Wohl des Reiches nnd der Bundesstaaten ersprießliche erkannt batte, als Bülow sich einer neuen Majorität gegenüber sah, in welcher — in widernatürlicher Verquickung — neben den dcntschen Konservativen und Zcntrumsmännern die Polen saßen und welche der Eigennutz und die Untreue der Kouservativcn einerseits und der Haß des Zentrums — welches ihm die Reichs ­ tagsauflösung vom 13. Dezember 1906 nicht verzeihen konnte — und der Polen — welche seine Polenpolitik fürchteten — gegen seine Person anderseits so schön zusammengeschwcißt hatte, und deren Diktaten er sich seiner ganzen inneren Ueberzeugung, seiner Vergangenheit, wie seinemWunsche, nicht gegen die liberalenParteien zu regieren, nach nicht fügen wollte noch konnte, bat er am 26. Juni 1909 um seine sofortige Entlassung, die aber vom Kaiser nicht bewilligt wurde. Als dann aber kein Zweifel mehr mög ­ lich war, daß die Steuerpolitik der neuen Majorität siegreich aus den parlamentarischen Kämpfen hervorgehen würde, als es klar war, daß sich der Bundesrat, „umfallend", dieser Steuerpolitik, trotzdem man sie früher in manchen Punkten für „unannehmbar" erklärt hatte, fügen würde, nnd da er nicht gewällt war, seinen Namen unter die gegen seinen Willen und seine bessere Ueberzeugung geschafft-

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