Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

72 diese Meldung weitergcbcnde Depesche im „dienen Wiener Tagblatt" vom 21. Mai 1909 fand — unseres Wissens — bisher kein Dementi. Sie sei des Kuriosums wegen hier wiedergegebcu : Bu d a p e st, 20. Mai. (Privattelegramm.) Das offizielle Organ des ungarischen LandcSkulturvercines meldet, daß König Peter von Serbien aus der friedlichen Beilegung des östcrreichisch-ungarisch-serbischen Konflikts großen ma ­ teriellen Nutzen gezogen habe. Es seien ihm siebzehn Millionen Franken unter dem Titel „Börsendifferenzen" ansbezahlt worden. Die Beziehungen zwischen den beiden Hälften der dualistischen Monarchie gestalteten sich in der Berichtsperiode wieder recht unfreundlich. In Ungarn hatte man — entgegen dem niit der Krone im Jahre 1906 geschloffenen Pakte — die Durchführung der Wahlrcform, wenn auch formell ein diesfälliger, auf deni Pluralitäts ­ prinzip beruhender und vorn Minister des In ­ nern Grafen Andrassy ausgearbeiteter Entwurf am ll. November 1908 im Abgeordnetenhaus eingebracht wurde, doch faktisch auf die lange Bank geschoben, dafür unter der Führung de« Präsidenten des Abgeordnetenhauses Jnsth und des Abgeordneten Hollo die Bankfrage auf die Tagesordnung gesetzt. Mit einer zähen Konse ­ quenz verlangte die Justh-Hollv-Gruppc der Un ­ abhängigkeitspartei die Sicherstellung der Tren ­ nung der gemeinsamen Bank für das Jahr 1911 und ihrer Agitationen konnte sich auch die Ne ­ gierung nicht erwehren. Sie versuchte cs, die Schürfe des dadurch mit Zisleithanien drohenden Konflikts durch den Vorschlag einer Kartcllbank zu mildern. Dieser Vorschlag aber, der für Transleithanien alle Vorteile einer gemeinsamen Bank wahrte, für Zisleithanien aber alle Nach ­ teile der Banktrennung mit sich brachte, wurde von der österreichischen Negierung aus politi ­ schen uud wirtschaftlichen Gründen glatt abge ­ wiesen, und da die Krone sich gegenüber der Banktrcnnnng, respektive der Schaffung einer selbständigen Bank für Transleithanien, die ja wieder nur einen Vorläufer der von der ungari ­ schen UnabhängigkcitSpartei — respektive deren linkem Flügel — offen verlangten reinen Per ­ sonalunion bedeutete, streng ablehnend verhielt, so kam cs in Ungarn zu einer Ministerkrise/ Am 27. April 1909 gab das Ministerium Wekerle seine Demission, wurde aber von der Krone nach Annahme dieser Demission mit der provisorischen Fortführung der Geschäfte bis zur Lösung der Krise betraut. Nun löste ein Entwirrungsversuch den anderen ab, ohne daß einer derselben eine solche Entwirrung gebracht hätte. In voller Erkenntnis der Unerquicklichkeit, ja Unmöglichkeit der gegebenen Situation beharrte das Ministerium Wckerlc auf seiner Bitte, definitiv von der Leitung der Geschäfte enthoben zu werden, worauf der Kaiser am 22. Juni 1909 mit Rücksicht darauf, daß die Staatsgeschäfte ohne Leitung nicht bleiben könnten, verfügte, die Negierung inöge noch einige Tage provisorisch im Amte verbleiben; er — der Monarch — werde bis dahin seinen weiteren Entschluß gefaßt haben, worauf die endgültige Enthebung des Kabinetts Wekerle unverzüglich erfolgen werde. Am 27. Juni 1909 ernannte der Kaiser Geheimrat Ladis ­ laus v. L u k a c s, der schon an einem Teile der bisherigen Entwirrungsverhandlungen betei ­ ligt war, zum Homo re^ius. Dieser ver ­ suchte es im Auftrag des Monarchen zunächst, Friedeusverhandlungcn mit der UnabhängigkeitsPartei einzuleiten, aber auch diese Friedensver ­ handlungen blieben, wie alle weiteren Entwirrungsversuchc des Homo rsAius, erfolglos, so daß sich der Kaiser entschloß, wieder an die Mitglieder des Kabinetts Wckerlc zu appellieren nnd das demissionierte Kabinett, respektive dessen Mitglieder wieder zu ernennen, cs ihnen srcistellend, im September 1909 wieder ihre De ­ mission zu geben. Am 7. Juli 1909 erfolgte denn auch die Wiedererncnnung des Kabinetts Wekerle, womit gleichzeitig die Mission de« Homo re^ius ihr Ende erreicht hatte. Das neu ernannte Kabinett — das zweite Koali ­ tionsministerium und das vierte Kabinett Wekerle — war aber bereits zur Stunde seiner Geburt demTode geweiht, denn am28. September 1909 wird cs, der sich selbst und dem Parlament gegenüber eingegangenen Verpflichtung gemäß, wieder aus dem Amte scheiden. Es erhielt dementsprechend auch im VolkSmund die Be ­ zeichnung des ungarischen „SommcrministerinmL". Am 12. Juli 1909 nahm das unga ­ rische Abgeordnetenhaus die Ernennung des „Sommerminifteriums" zur Kenntnis, wobei es — im Sinn einer zwischen der Regierung und der Unabhängigkcitspartci vereinbarten Klausel — die Hoffnung aussprach, daß die Krise im Herbst bei Berücksichtigung des MehrheitsPrinzips gelost werden wird. Hierauf vertagte

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