Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

70 dem dadurch bedingten Mitverlangcn einer Kon ­ ferenz eine konziliante, objektiv erwägende Haltung — nicht beirren und blieb, unterstützt von Deutschland, fest auf dem einmal gewählten Boden — und der Erfolg fehlte ihm nicht. Wohl sorgte es für eine Sicherung der Grenzen des Reiches gegenüber Serbien nnd Monte ­ negro, aber sonst reagierte die Großmacht nicht auf die Provokationen dieser Kleinstaaten. Die Türkei fand sich allmählich bereit, mit der Annexion sich abzufinden, und obwohl man es versucht hatte, im Wege eines Boykotts öster ­ reichischer Erzeugnisse und Provenienzen einen Druck auf Oesterreich-Ungarn auszuübcn, be ­ gnügte sie sich schließlich mit einer Entschädigung in Geld snr die zur Zeit der Okkupation in Bosnien und der Herzegowina bestandenen türkischen Staatsgüter. Durch ein spezielles österrcichisch-nngarisch-türkisches, auf die am 12. Jänner 1909 erfolgte prinzipielle Annahme der österreichischen Propositionen durch die Türkei zurllckzuflihrendes, am 26. Februar 1909 von den beiderseitigen Bevollmächtigten unterfertig ­ tes Ententcprotokoll, welches dann die Zustim ­ mung des türkischen Parlaments nnd schließlich auch die Sanktion des Sultans sand, war der Streitfall zwischen Oesterreich-Ungarn und der Türkei erledigt, die Annexion hatte damit die ausdrückliche Anerkennung der Türkei und der Boykott österreichisch-ungarischer Waren sein Ende gesunden. Damit war die Konferenzsrage unaktuell geworden, und cs wurde angestrebt, die formelle Anerkennung der Annexion seitens der Berliner Vertragsmächtc ohne Konferenz dnrch direkte Erklärungen dieser Mächte zu erlangen. Inzwischen tobte in Serbien die Kriegswut weiter und Kronprinz Georg setzte seinen Wort ­ feldzug gegen die Habsburger Monarchie un ­ entwegt fort. Da traten die Großmächte ins Mittel; zunächst wirkte Rußland — das ja, wie gesagt, schon vor der Annexion derselben zugeslimmt — allein auf die serbische Großmanns ­ sucht ein, aber vergeblich, dann suchte man nach einigenden Schritten zwischen allen Großmächten, um einen Kollektivdruck auf Serbien auszuüben, da inan doch nicht zugeben konnte, daß die übermütigen, unberechtigten Prätentionen Serbiens einen Krieg, dec eventuell ein Welt ­ krieg werden konnte, heraufbeschwören sollten. Lange schwebten die diesfälligen Berhandlungen, aber endlich fand sich doch im letzten Augen ­ blicke, knapp vor dem bevorstehenden Einmärsche der Oesterreicher in Serbien, eine Formel, die neben Oesterreich-Ungarn allen beteiligten Groß ­ mächten — selbst dem am längsten zögernden England — genehm war. Inzwischen halte Kronprinz Georg, dem ein brutaler Akt, der einem seiner Diener — dem Kammerdiener Stephan Kvlakovic — - das Leben kostete, die Sympathien seine« Volkes entzogen, am 25. März 1909 auf das Thronsvlgcrecht verzichtct, das auf seinen jüngeren Bruder Al exander überging, und damit war ein ernstes Hindernis für die friedliche Entwicklnng des serbisch-österreichischen Konflikts gefallen. Dein gemeinsamen kategorischen Drucke der Mächte fügte sich endlich Serbien, nachdem Rußland ausdrücklich seine schützende Hand . von König Peters Land abgezogen nnd ihm jede Unter ­ stützung für den Kriegsfall versagt hatte. Serbien sand sich zu einer in Form einer am 31. März 1909 dem Freiherrn v. Aehrenthal überreichten Note abgegebenen Erklärung an Oesterreich-Ungarn bereit, womit es implicite von allen Kompensationen territorialer und wirtschaftlicher Natnr aus Anlaß dec Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Oesterreich absicht und den dnrch letztere geschaffenen recht ­ lichen Zustand anerkennt und demzufolge sich zur Abrüstung verpflichtet — welcher Verpflichtung auch baldigst entsprochen wurde. Damit und mit der in, Wege von in der Zeit vom 9. bis 20. April 1909 im Wiener Ministerium des Aeußern übergebenen Noten erfolgten ausdrücklichen Anerkennung der An ­ nexion respektive der Aushebung des die Okku ­ pation regelnden Z 25 des Berliner Vertrages durch die Berliner Traktatmächte war, nachdem auch Montenegro anfangs April seine feindliche Haltung gegen die Annexion aufgegebcn, die friedliche Lösung der Annexionsfrage gegeben, nnd auf daß dem ganzen Drama auch dec Humor nicht fehle, stellte es sich schließlich heraus, daß der ganze serbische Kriegsrumniel dem König Peter einen hübschen wirtschaftlichen Privatgewinn gebracht hatte. Die serbische Majestät hatte offenbar, die wegen des Kriegsrummels eingctretene Baisse benützend, Effekten gekanft, die nach Beilegnng des Streitfalles wieder stiegen und so dein glücklichen respektive klugen Käufer reichen Vorteil brachteil. Eine diesfällige Meldung des offiziellen Organs des ungarischen Landeskulturvereines respektive die

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2