Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

IaHres-Wückschau. Vom Juli HY03 bis Juli sYOY. Einer an ernsten Ereignissen reichen Epoche gilt unser diesmaliger Bericht. Die Periode, in welche das 60jährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Joseph I. fällt, hat der großen, stolzen Habsburger Monarchie zwei neue Provinzen ge ­ bracht, Bosnien uud die Herzegowina, und damit die Zahl der Provinzen wieder voll gemacht, die der Kaiserjubilar von seinem Vorgänger über ­ nommen und die in schweren, blutigen Kriegen inu zwei — die Lombardei und Venedig — ver ­ ringert worden war. Aber dieser Zuwachs hätte bald mit neuen Kriegen gegen die Türkei und zwei kleine Balkanstaaten, Serbien uud Monte ­ negro, welch letztere in keckem Uebermut ebenfalls gern auf die von Oesterreich-Ungarn auf Grund der Bestimmungen des Berliner Vertrages durch volle 30 Jahre getreulich verwalteten uud kulturell wie wirtschaftlich mächtig gehobene» Provinzen gegriffen hätte», bezahlt werden müssen; Kriege, die, wenn auch in ihrem Ausgange kaum zweifel ­ haft, doch schwere Opfer an Blut und Geld ge ­ kostet hätten und die nur durch die feste und kluge Politik des Freiherrn v. Achrenthal und dank der werktätigen Bundestreue des Deutschen Kaisers vermieden werden konnten. In der Türkei selbst kam es durch den mutigen Druck der Juugtürken zur Verleihung einer Ver ­ fassung oder besser Wiederinkraftsetzung einer solchen und dann infolge des von Sultan Abdul Hamid II. geförderten, ja wohl geleiteten Ränkespielcs der reaktionären Parteien und Würdenträger zu einer blutigen Gegenbewe ­ gung, die aber von der tatkräftigen Aktion der juugtürkischen Armee bald erdrückt wurde und dem wortbrüchigen Herrscher der Türkei den Thron kostete. Ein ähnliches Nänkespicl, ein ähnlicher Bruch der beschworene« Verfassung durch dcu Schah Muhamed Ali Mirza bat auch in Persien zu blutigen Aufständen und schließlich zur Abdankung des eidbrüchigen Herrschers geführt. Bulgarien hat sich fast gleichzeitig mit dem Beschlusse der Annexion Bosniens uud der Her ­ zegowina durch Oesterreich-Ungarn zu einem un ­ abhängigen Königreich erklärt uud damit eben ­ falls die Gefahr eines glücklicherweise gleichfalls vermiedenen Krieges mit der Türkei herauf ­ beschworen. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat ein neuer Maun die Zügel der Regierung ergriffen. Den Holländern ward end ­ lich der heißersehnte Thronerbe. Zu dieser Fülle bedeutsamer Ereignisse lat schließlich auch die nimmer ruhende Natur ei» Ereignis gesellt, das ungezählte Menschenleben vernichtet, blühende Städte und Ortschaften zer ­ stört und unschätzbareWerte verschlungen hat: das große Erdbeben in Süditalicu. Und noch eines Ereignisses oder besser einer Reihe von Ereignissen sei hier gedacht, die ge ­ eignet sind, die feste Erwartung zn erwecken, daß, wie cs dem Menschen gelungen ist, Erde uud Wasser sich untertänig zu »rachen, cs ihm auch gelingen wird, das Reich der Lüfte zu be ­ herrschen. Hat Graf Zeppelin mit seinen mäch ­ tigen Luftschiffen den Ruhm der deutschen Aero ­ nautik in alle Welt getragen, so haben Luft ­ schiffer, Luftfahrer und Luftflieger anderer Na ­ tionen sich nicht »rindere Verdienste um die Er ­ oberung der Luft durch den Mensche» erworben, sich dabei der verschiedensten Systeme für ihre Zwecke bedienend. Nur Einiges aus den bis ­ herigen Ergebnissen der dtcsfälligen Bemühungen sei hier erwähnt. Es handelt sich dabei um die speziell seit 13. Jänner 1808 auf wenige Monate zusammengedrängten Evolutionen der aviatischen Flüge, d. h. der Flüge mit Lustschissen, die schwerer als die Luft sind, der sogenannten Drachenflieger : 5

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