Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

64 oder du mutzt erleben, daß mein Blut über dich hinwegströmt." — Er drängte sie hinweg und griff nach den Pistolen. „Ich will nicht leben ohne dich; jetzt nicht mehr!" — Mit diesen Worten rang sie ihm gewandt das eine Pistol aus der Hand. „Nun denn, tue was du willst, ich aber kann nicht anders! So laß mich wenigstens in.deinen Armen sterben!" — Er wandte sich ab, um der Kugel einen sicheren Lauf durchs Herz zu geben; da warf Aurora ihre Waffe weg und fiel mit der Stärke der Ver ­ zweiflung ihm in deu Arm, ihm die seinige zu entreißen. Männertritte stürmten jetzt gegen das Zimmer, und eine halberstickte Stimme rief: „Halt, halten Sie ein! Schießen Sie nicht, um der Heiligen ­ willen!" Doch iu demselben Augenblick entlud sich Piceks Waffe, und mit seinem Blute entfloh sein Leben, während Aurora vernichtet über ihn hinsank. Mit einem Schrei des Entsetzens drang eben ein Mann herein, und als der Pulverdampf sich teilte, erkannte der sterbende Graf in ihm Bastiani. „Laßt ihn nicht sterben, ihr Heiligen!" rief der Zerknirschte, zu Piceks Füßen stür ­ zend. „Nicht in Ihr edles Herz, in das meine, schuldbewußte, gehörte Ihre Kugel. Erfahren Sie: die Würfel, mit denen -O'Nelly Macht über Ihr Leben gewann, waren falsch, ohne daß er es wußte!" „Entsetzlich!" rief Aurora, Bastiani aber fuhr fort: „Ich dagegen legte sie wohlbewußt zu dem entscheidenden Wurf in seine Hand, nachdem er mir das Versprechen gegeben, Sie für die nächste Zeit zu schonen, und während derselben hoffte ich als Preismeiner Vermittlung einen Teil Ihres Vermögens von Ihnen zu ziehen. In der Sicherheit, daß nicht ohne mein Wissen der Todesbefehl an Sie gelangen konnte, überließ ich Sie Ihrer Unsicherheit. Als ich aber erfuhr, daß Sie der Unbekannte wären, der mich in Triest so reich unterstützte, der endlich im vorigen Jahr in den Kar ­ pathen mein Leben aus den Wolfs ­ klauen rettete, daß Sie überall mir Gutes taten, wo ich Böses wollte — da ging mir das böse Herz auf in reue ­ voller Dankbarkeit. Ich wollte wieder gut machen, was ich verbrach, ich eilte nach Schlesien zu O'Nelly, ihm alles zu entdecken; allein ich fand ihn so ver ­ söhnlich gestimmt, daß ich nichts mehr für Ihr Leben fürchtete, und somit mir das schmähliche Schuldgeständnis er ­ sparte." „Und dennoch hat er seineMacht mit so viel überlegter Bosheit iu dieser letzten Februarsnacht noch gekrönt, daß er mir die Todeskugel im Moment meines höchsten Glückes in die Hand zwang!" sprach der matter werdende Graf, den Schmerzensblick auf Aurora heftend. „Ein fürchterlicher Traum, woriu ihm sein Vater erschien und den von dem Ihrigen erlittenen Schimpf er ­ zählte, schien eineMahnung zur Rache, welche er noch iu feiner Gewalt hatte", antwortete der Marchese. „Die alte Schlange war ihm wieder in der Brust erwacht und stachelte ihn rastlos zu der Tat, für derenMacht er sein Leben ein ­ setzte. Da schrieb er Ihnen den- Todes ­ befehl. Wenige Stunden darauf führte Ihr guter Engel mich zu ihm; ich er ­ fuhr das Entsetzliche, erklärte ihm mit drei Worten die Unrechtmäßigkeit seines Spieles durch meinen Betrug, und drang ihm einen schriftlichen Wi ­ derruf seines Briefes ab. Dann rannte ich nach dem Stalle, riß das nächste Roß heraus und — ritt, getrieben vou Todesangst, unaufhaltsamher nach Un ­ garn, um um jeden Preis das Ärgste zu verhüten." „Zu spät! Tie Schicksalsmächte wollen ihr Opfer haben", lispelte der Graf und schloß die Augen für immer.

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