Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

58 zu. Halten Sie mich übrigens für scharfsichtig genug, Ihr eigennütziges Gewebe zu durchschauen. Sie sind es, dem nach meinenGütern gelüstet! Jst's nicht so?" „Sie beleidigen, Herr Graf!" ant ­ wortete Bastiani gefaßt. „Wenn mein gutgemeinter Vorschlag, der in Ihrem Leben den letzten Zweig eines edlen Ge ­ schlechtes retten sollte. Ihnen nicht ge ­ fiel, so mußte ich mir ein trockenes, kaltes Nein gefallen lassen. Was aber zu dieser Sprache, zu dieser Voraus ­ setzung einer zweifellos niederen Ge ­ sinnung Sie bei mir berechtigt, frag' ich Sie jetzt, Herr Graf, als ehrliebender Edelmann, dem Sie leider dafür mit Ihrem Leben keine Genugtuung mehr anbieten können-." „Ja, ich bedauere, Ihnen nicht mehr durch den Todeswürfel verfallen zu können," entgegnete Picek, bitter lächelnd, „doch seien Sie überzeugt, Sie würden für Ihre eigene Rechnung nicht bessere Geschäfte machen, als für die fremde. Lassen Sie uns ruhig sprechen, Bastiani; wir kennen uns! Und eben fällt mir ein, daß ich Ihnen in Triest vielleicht mein Leben verdankte! War Ihre Warnung nun Zufall oder wirk ­ lich Ihre Absicht, genug, ich bleibe Ihr Schuldner, und um Sie nicht in Ihren Ansprüchen zu verkürzen, indem mein Tod vielleicht bald dergleichen Schulden quittiert, so nehmen Sie diese Bank ­ noten. Es wird hinreichen, Sie fürlange der Notwendigkeit des Spiel ­ erwerbes zu überheben, wenn dieser nicht geradehin als solcher zu einer Lebensbedingung für Sie gewor ­ den ist." „Sie sind so großmütig, Graf Picek!" stammelte der Überraschte, die reichen Papiere empfangend, welche jener aus seinem Taschenbuche nahm. „Nicht so ganz; ich will sogleich den Eigennutz dabei geltend machen. Ist Ihnen der besondere Grund des Hasses bekannt, den O'Nelly gegen mein Ge ­ schlecht hegt?" Bastiani bejahte, und nahm, als der Graf auf dieMitteilung drang, keinen Anstand, ihm die erniedrigende Miß ­ handlung zu vertrauen, welche des Ir ­ länders Vater durch den sinnigen einst erfahren. Picek war tief erschüttert und ging lange schweigend auf und nieder. „Es war hart, sehr hart!" sprach er sinnend dann vor sich hin, versetzte sich lebhaft in O'Nellys Stimmung, die im umge ­ kehrten Falle wahrscheinlich auch die seinige geweseu sein würde. Ja, der Gaunervorschlag Bastianis, dem sieg ­ reichen Gegner auf dessen Altar der Blutrache seine Liebe und sein Ver ­ mögen als freiwilliges Opfer zu brin ­ gen, erschien ihm als ein herrlicher Ge ­ danke, wär' er, von ihm ausgegangen, eine Wahrheit gewesen, zn der er sich groß genug fühlte. Doch wer schützte ihn vor dem Verdachte der Lüge, so ­ bald er ihn ausführte, da er aus jenem Munde kam. Es war zu spät. „Gehen Sie, Bastiani", sagte er end ­ lich zu diesem, „ich bedarf der Einsam ­ keit." Der Marchese entfernte sich. Er war durch des Grafen Großmut so reich ge ­ worden, daß er schon im Begriff stand, sich noch näher zu erklären. Picek aber wandte sich langsam zum Schreibtisch, und das zermalmende Gewicht seiner merkwürdigen Lage leitete seine Feder zu dem inhaltschweren Worte der Ent ­ sagung an Aurora. Er sah jetzt eine Torheit in der Äußerung gegen Ba ­ stiani, die Integrität seinesWesens bis zum Todesmoment behaupten zu wollen. Er war ja ein anfgegebener Mann, ein wandelnder Leichnam, und wenn auch der Geist der männlichen Ehre nnd seine ganze Gesinnung noch seinen letzten Hauch beseelen konnte und sollte, so hatte er doch kein Recht mehr auf Wünsche und Hoffnungen, diese beiden mächtigen letzten Lebens ­ hebel des Menschen. Sein Dasein, das sich in Stunden, Tagen, Wochen und vielleicht Monaten möglicherweise noch fortbewegen konnte, glich der Wan ­ derung durch eine Moorgegend, wo er

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