Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

54 klärte er seine ehrende Anerkennung des Zeugen. Ein Kellner brachte Wein, und Graf Goseck entwarf nun einen kurzen Ver ­ trag des Spielkampfes, wonach nicht mit dieser ihn entscheidenden Stunde, sondern mit dem letzten Glockeuschlage desselben Tages das Jahr und mit ihm dieMacht des gewinnenden Teiles als beschlossen betrachtet werden solle. Die Unterschriften folgten. Schweigend wurden noch einmal die Gläser geleert. Man schritt endlich zu dem verhäng ­ nisvollen Todesspiele. Die Sekundan ­ ten legten die mitgebrachten Würfel auf den Tisch, und Graf Goseck fragte, ob sie gewechselt werden sollten. „Wozu?" entgegnete Bastians, „wir haben uns bereits insgesamt als Ehren ­ männer erkannt, daher erscheint mir jede weitere Vorsicht als beleidigendes oder doch unnötiges Mißtrauen." „Wohlan, so beginnen wir", sagte Picek. „Sie haben den ersten Wurf, HerrGraf!" bedeutete ihu O'Nelly. Picek warf. Es waren nur neun Augen, und gleich darauf zeigten des Gegners Würfel fünfzehn. Der Graf unterdrückte den Todes ­ seufzer seines Glückes, auf welchem der Name Aurora schwebte; ein schneiden ­ des Weh glitt über Gosecks Züge, aus O'Nellys Auge blitzte die Zufriedenheit mit der Nemesis, welche nach seiner Meinung den Wurf für ihn tat, uud über Bastianis Gesicht endlich zuckten gleich Irrlichtern die Flämmchen ver ­ stohlener Höllenfreude. „Ich bin in Ihrer Macht auf Leben und Tod! Verfügen Sie nach Belieben; Sie finden mich jeden Augenblick be ­ reit!" sagte Picek tonlos. Dawollte inO'Nelly der ganze, lang verhaltene Sturm des Schmerzes, Hasses und Rache gegen diesen Letzten der Piceks losbrechen, um mit dem Machtworte zu dessen Selbstvernich ­ tung, gleich dem zündenden Blitzstrahl in den einzigen noch grünen Zweig eines alten Stammes, zu endigen — allein er gedachte noch früh genug seines Versprechens der Mäßigung an Bastiani uud unterdrückte kräftig den inneren Aufruhr. „Es handelt sich zwischen uns um mehr als Sie glauben, Herr Gras," sagte er zu Picek, „es handelt sich nm eine lange, ehrvergifteteVergangenheit zweier Personen, sür welche ich mich mit meinem Herzblut in die Schranken trat, um das Ihrige dagegen zur Sühne zu erringen. Wär' es anders, so würd' ich Sie bitten, ein Pistol vor mir in die Luft zu schießen, und dann Ihnen mit versöhnenden Worten die Hand reichend. So aber — " „Sie sprechen in Rätseln!" siel der Graf erstaunt ein. „Wie? Ein älterer Haß wohnt gegen mich in Ihrer Brust? Und doch erinnere ich mich nicht, Sie früher als in den letzten Tagen auf dem Gräfenberge jemals gesehen, viel we ­ niger beleidigt zu haben. Doch Sic sprechen von zwei Personen — " „Lassen wir das!" brach O'Nelly ab. „Ich kann mich zu keiner näheren Er ­ klärung verstehen. Das Gift, von dem ich sprach, würde mir dabei zum Her ­ zen, und der Todesbefehl au Sie, den ich jetzt noch znrückhalten will, viel ­ leicht auf die Lippen dringen. Es gibt Taten und Sünden, die durch ganze Geschlechter, zunächst vom Vater auf den Sohn fortwirkeu, bis ihr Fluch in einem angemessenen Sühnopfer seine Erlösung findet. Solche Bewandtnis hat es auch mit der Kette, welche mein Leben an das Ihrige fesselt, und eines von beiden mußte untergeben, um sie zu zersprengen. Wäre das Würfelglück Ihnen günstig gewesen, statt mir, so hätt' ich die Todeskugel ebenso als eine Notwendigkeit gegen mein Herz gerich ­ tet wie jetzt gegen das Ihre. Hätten Sie das Jahr ohne den Todesbefehl an mich verstreichen lassen, so würd' ich aufs neue ein Duell mit Ihnen ge ­ picht haben, denn der Tod des einen von uns beiden ist die Lebensbedingung für den andern; diese Überzeugung rollt mir durch die Adern."

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