Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

52 Picek grüßend an die Damen, und Aurora schlug betroffen die Augen nie ­ der, während er den Blick zärtlich auf ihr ruhen ließ. „Ich wünsche Ihnen Glück zn un ­ serem reizenden Morgen", sagte er. „Wer von uns hätte vor noch fünf Jahren ahnen können, daß wir einmal die Wintersaison auf dieser sonst ein ­ samen Berghöhe verleben würden. Wie viel gelbe Wangenrosen hat nicht die Najade von Gräfenberg seitdem in rote verwandelt, und auch Ihre Wangen, Frau Gräfin, find' ich heut mit einem höheren Morgenrot der Genesung an ­ gehaucht!" „Ich fühle mich auch täglich stärker und lebensfrischer," bestätigte diese, „mein quälendes Nervenübcl selbst ist wie ein böser Traumvonmir gewichen, und um keinen Preis möcht' ich jetzt das Wasser wieder mit irgend einer Arznei und diesen himmlischen Äther mit der Salonluft vertauschen." Eine bekannte Dame trat jetzt heran nnd unterhielt die Gräfin heimlich mit ihrer Krankheitsgeschichte, während Aurora und Picek einige Schritte zurückblieben. Es war das erstemal, daß beide sich allein befanden, und derGraf suchte beständig das schöne Auge, nm darin sein Glück und denMut zn einer Erklärung zu finden, welche ein älteres, vor kurzem schmerzlich gelöstesVerhält ­ nis der Geliebten bisher zurückgedrängt hatte. Mit einer kleinen Kriegslist schlug er dabei einen Nebenweg ein, nnd Aurora folgte ihm. Ihre Hand an Brnst und Lippen drückend, sah er sie bittend an, zog sie dann sanft in seineArme und flüsterte: „Du mein geliebtes Herz!" — Da schlug dicht neben ihnen plötzlich ein wildes Gelächter auf, und erschreckt fuhren sie auseinander. Der Störer war O'Nelly, der bei der zufälligen Belauschung der Szene durch seine Leidenschaft sich bis zur Unge ­ zogenheit hatte fortreißen lassen. Aus einem Seitengange biegend, stürmte er jetztmit höhnischemBlick an ihnen vorüber. Sprachlos vor Zorn stand einen Augenblick der Graf, dann rief er ihm nach: „So kann nur ein Straßen ­ bübchen überraschen, Herr Kamerad!" „Wir sprechen uns deshalb", ant ­ wortete jener. „Ich stehe zu Befehl, wo, wann und wie es belieben wird!" war des Grafen Antwort, und O'Nelly verschwand. III. Bald darauf erhielt der Graf des ! Irländers Forderung und antwortete mit dem Vorschläge, statt nach alter Sitte, durchWaffen, die Sache zur Um ­ gehung des Duellverbotes durchWürfel dergestalt abzumachen, daß der höhere Wurf des einen während des nächsten Jahres volle Gewalt über das Leben des anderen verleihe, indem jed.r für den Fall des von ihm verlorenen Spie ­ les, der binnen dieser Zeit, zn empfan ­ gender Anweisung gemäß, sich selbst zn erschießen verpflichte. O'Nelly ging hinab nach Freiwaldan zu Bastiani und ersuchte ihn um seinen Beistand in der Ehrensache, da es ihm an anderen Bekannten fehlte. „Das ist gut, daß Sie eine Reibung mit ihm gefunden haben", sagte der Italiener froh. „Ich bin eigentlich noch unentschlos ­ sen, ob ich das Duell auf dieWeise an ­ nehmen soll", entgegnete O'Nelly. „Meinen Rachedurst auf einen elenden Würfel zu setzen, dünkt mich eine niedrig gemeine Spielerart. Ich sehne mich dafür nach einem blitzenden Stahl oder knallendem Rohr; der Moment soll mir die Genugtuung geben. Ich will das Blut eines Picek aus der von meiner Hand geschlagenen Wnnde mit eigenen Augen strömen sehen, in ­ dem ich das eigene Blnt dagegen ein ­ setze; und fall' ich, so war der Moment ein ganzes Leben wert." „An Ihrer Stelle würd' ich dennoch das Würfelduell annehmen," meinte Bastiani, „denn das Wagnis ist kein anderes als auf Pistolen, und fallen Ihnen die meisten .Angen' zu, dann ist das Machtbewußtsein, die des Gegners jeden Augenblick für immer schließen zu können, eine ganz andere, höhere Ge-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2