Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

Das unheilvolle Würfelspiel * ). *) Nnch Familienpvpieren bearbeitct. Historische Novelle cui I. s War ein ziemlich milder Februar-Abend des Jahres 1854. Der Vollmond kämpfte sich eben aus einem Wolken ­ kranze hervor, nnd schärfer traten die Umrisse der schneeglünzendcn Gebirgs ­ massen um Gräfenberg heraus, mit dessenQuellen noch viele, ungeachtet der rauhen Jahreszeit, durch die berühmte Prießnitzsche Kaltwasserheilmethode, alte Krankheitsdämone eines geschwäch ­ ten Nervensystems auszutreiben bemüht waren. Die Kurgäste setzten lange noch ihre Promenade auf den Anlagen des Gräsenberges fort und verloren sich endlich, als die Glocke zur Abendtafel rief, in dem großen Badchause. Noch kamen zwei Damen, welche ein junger Mann eifrig unterhielt. Die eine war die verwitwete Gräfin Thalberg, eine hohe Fraumit edlerHaltung und bleichen Zügen, die andere ein Mädchen von jener üppigen ausdrucks ­ vollen Formenschönheit und griechischen Gesichtsbildnng, wodurch sich dieBewoh ­ nerinnen der Zentralkarpathen oft so reizend auszeichnen. Von dorther war auch Aurora von Pokorui gebürtig, welche ihrer deutschen Freundin hier Gesellschaft leistete 'und durch ihr dun ­ kelglühendes Auge den ungarischen Husarenleutnant Graf Picek, so wie jetzt, magisch in die Begleitung zog. „Bemerken Sie dort den hervor ­ ragenden Scheitel des Altvaters, meine Damen?" fragte der Graf, nach dem Gebirgskamme zeigend. „Das ist der eigentliche Knoten dieses östlichen Su ­ detenzuges, und die ruhige Größe und Form dieses Berges scheint mir ein Bild menschlicher Hoheit, welche in stiller Befriedigung auf die zuriickgclegten Stufen ihres Strebens niederschaut, und nun den Wetterwolken und StürLsterreichsich-Tchlesieii. Nachdruck verboten.) men noch mehr als in der niederen Sphäre, in den Tälern nnd auf den Höhen desAlltagslebens, ausgesetzt ist." „Sehr hohe Berge lassen eine noch weitere Ausdehnung des Vergleiches zu", bemerkte die Gräfin. „In ihrer verdünnten Atmosphäre, wo dem küh ­ nen Bcsteiger das Blnt ausMund und Ohren dringt, sind sic ein Bild des Er ­ oberers undWeltstürmers, dessen Höhe auch das Blut der Menschheit kostet. DenkenSie anNapoleon, und wünschen Sie mit mir, daß der Vergleich künftig nicht mehr passe, weil nur die Intelli ­ genz, nicht die Kanone, die Welt fort ­ hin erobere. Doch lassen Sie uns in den Speiscsaal gehen. Tie Bergluft zehrt so wohltätig, daß ich den rüstigstenAppetit mitbringe, dessen mau sich hier ver ­ nünftigerweise nicht schämen darf, wie in unseren städtischen Zirkeln." Sie entfernten sich, und hatten zwei Männer nicht bemerkt, welche unfern hinter ihnen auf einer Bank im Schat ­ ten saßen. „Welch eine unfruchtbare Unterhal ­ tung mit diesen Vergleichen, denen der Appetit der Dame noch die gesundeste Wendung gab", sagte der eine. „Mau merkt au solchen Betrachtungen, daß der Mond aufgegangen und ein Ver ­ liebter in der Nähe ist. Sagen Siemir, O'Nelly, wer sind die Personen?" Dieser nannte sie, und Bastiani fuhr auf: „Graf Picek, sagen Sie, nnd — Aurora von Pokorni, die ich in Triest kennen lernte?" „Ganz recht, dort lebte sie einige Zeit", bemerkte O'Nelly. „Da empfang ich plötzlich die inter ­ essantesten Karten, während ich schon fürchtete, auf diesem alten Gräfenbergc kein solides Spielchen machen zu können", sagte Bastiani, vergnügt die Hände reibend, und O'Nelly bemerkte: „Erklären Sie sich doch deutlicher, wenn man es wissen darf."

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