Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

48 Besatzung ihrer Zahl nach wohl nicht imstande war, einen länger dauernden Widerstand zn leisten. Überdies hatte das alte Verhältnis der Stadt zu der geheiligten Persau des Reichsoberhanptes bei einem großen Teile von Ulms Einwohnern eine Anhänglichkeit an das Erzhaus zuriickgelassen, welche den offenen Bruch mit der kaiserlichem Sache nie hatte gntheißen können. AIs Besserer nnn seinen wohlerwogenen Antrag dahin stellte, unter allen Um ­ ständen bei dein mit Gustav Adolf ge ­ schlossenen Freundschaftsbündnisse zu beharren, mußte er zu seinem großen Befremden bemerken, daß ihm vielfach widersprochen wurde und seine Auf ­ fassung namentlich in Harsdörfer einen erbitterten Gegner fand, der sich sogar beigehen ließ, ihm eigennützige Ab ­ sichten nnd Wortbrnch vorzuwerfen, obwohl die Ulmer ihr Bündnis mit den heiligsten Eidschwüren besiegelt hatten, welche jetzt wie Seifenblasen zerstieben sollten. Zornglühend fiel ihm Besserer in die Rede: „Was erfrecht Ihr Euch? Wauu habe ich mein Wort nicht gehalten oder ans meine Seite gesprochen? Heda, frecher Bnrsche, wagst dn also meine grauen Haare zu schmähen?" „Die Beweise liegen am Tage, geehrtester weiland Schwiegerpapa", er ­ widerte mit gezwungener Mäßigung der andere. „Da länft's hinaus?" rief Besserer. „Hört's, Mäuuer von Ulm! Euren Bürgermeister Besserer, der seit fünf ­ undzwanzig Jahren für Euer Wohlsein Tage und Nächte geopfert hat, wagt ein Mensch wortbrüchig zn -nennen, den gerade diese Stelle, anf der er gegen ­ wärtig sitzt, an ein Wpsen mahnen sollte, das vor wenigen Monaten sein gegebenes und nicht gehaltenes Wort auf das Schafott gebracht hat! Geist der unglücklichen Magdalena Gold ­ schlager, tritt anf in sichtbarer Gestalt und zeuge mir, daß ich die Wahrheit gesprochen! habe!" „DasMaß ist voll!" rief Harsdörfer nuu, erhob sich, riß aus dem voller eiue Pistole, uud vou zwei Kugeln durch ­ bohrt, stürzte der Bürgermeister von Besserer leblos in seinen Sessel zurück. In gräßlicher Erstarrnng waren die Anwesenden, und noch erhob sich keine Hand, den Verbrecher zn fassen; er hätte fliehen können nnd kein Hinder ­ nis gefunden; aber cs war ihm darum nicht zu tun. „Die Sache ist abgemacht zwischen mir und diesem Graukopf da," sprach er, „wir werden in keinen Streit mit ­ einander mehr geraten, nnd gleichgül ­ tig kaun es nns sein, ob Ulm es mit dem Kaiser oder mit den Schweden hält. Aber redlich habe ich es mit meiner Stadt gemeint, an ihre Spitze gestellt, wollte ich sie groß und mächtig machen; darum opferte ich, nm dieses Ziel zu erreichen, ein heiliges Verhält ­ nis nnd brach meinen Schwnr. Doch mein fließend Herzblut soll sie bald ver ­ söhnen! Einspännige," rief er, die Tür öffnend, „herbei, ich bin euer Gefan ­ gener!" Harsdörfers Loswar schon nach eini ­ gen Monaten entschieden; die Todes ­ strafe ward gegen ihn erkannt, doch wnrde er, wie der richterliche Aussprnch besagte, ans flehentliches Bitten seiner Anverwandten mit der ordentlichen Strafe des Rades verschont nnd in An ­ betracht seiner adeligen Geburt zur „Arguebusade" (Erschießung) ver ­ urteilt, auch dieses Urteil im „Neuen Bau" in früher Morgenstunde vor einer Deputation des Rats vollstreckt. Besserer und Harsdörfer ruhen nebeneinander. Tas Grab des letzteren deckt ein glatter Stein, Besserers Monnment aber ist noch heute iu der Münsterkirche zu Ulm zu schauen.

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