Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

47 kniete, angekommen am Schafott, an dessen Fuße zum letzten Gebet nieder. Ungestört ließ man sie einige Zeit in dieser Stellung, doch als es den Richtern endlich allzu lang zu dauern schien, nahte sich ihr einer derselben, nm sie zn erinnern, daß sie jetzt dasBlutgerüst zn besteigen habe! -- ihre Seele hatte aber schon ihre irdische Hülle verlassen nnd sich vor den Stuhl des ewigen Richters gestellt. -i- » * Der erste Mai war für das Haus des Bürgermeisters Besserer noch nie freundlicher angebrochen als am heuti ­ gen Tage. Regina schien besonders glücklich zu sein. Dessen war auch kein Wunder, denn alles hatte sich nach ihren Wünschen gestaltet. War sie ja doch die Braut Werner Ohmanns, des schwedischen Reiterhauptmanns, gewor ­ den, des blühenden jungenMannes, der in dem Gewand eines Schneidergesellen einst des Bürgermeisters Tochter be ­ sucht hatte. Nachdem Besserer, seinem Entschlüsse getreu, das Verhältnis Re ­ ginas zn Harsdörfer aufgelöst hatte, wodurch freilich ein förmlicher Bruch zwischen den beiden angesehenen Pa ­ trizierfamilien entstanden war, hatte Regina keinen Anstand genommen, ihrem Vater ihre und Werners gegen ­ seitige Neigung zu bekennen. Zwar wollte es dem alten Patrizier nicht ge ­ fallen, seine Tochter, das Teuerste, was er besaß, einein Fremdling von unbe ­ kannter Abkunft zu überlassen; aber allmählich mußte er doch den wackeren Jüngling, der als einer der tüchtigsten Offiziere der schwedischen Besatzung galt, den seine Brauchbarkeit, sein offenes Benehmen nnd ein makelloser Wandel empfahl, liebgewinnen. Auch hatte der Schwedenkönig selbst ein Wort bei dem Bürgermeister für die Liebenden eingelegt, welches den Stolz des Patriziers bezwang nnd ihn zur Erteilung seines Jawortes veranlaßte. Ain ersten Mai nun sollte die Trau ­ ung erfolgen und der bestimmte Tag fand die Zurüstungen zn diesem Feste aufs beste getroffen. Glockenklang nnd Orgelschall Inden zu den Hallen des altenMünsters ein. Des PriestersHand segnete den Bund und unter dem Ge ­ dränge des Volkes nnd durch die Reihen der schwedischen Besatzung be ­ gaben sich die Neuvermählten nach Hause, wo eine reichbesetzte Hochzeits ­ tafel ihrer wartete. Schon war das freudige Leben des Tages in voller Bewegung, als der Ratsbotc wichtige Briefschaften über ­ gab, über die sogleich ein Beschluß zn treffen war. Schnell hob der Bürger ­ meister deshalb die Tafel auf und mit dem vierten Glockenschlage hatte er die Mitglieder des Rats versammelt; nur Harsdörfers Stuhl war noch unbesetzt. Endlich erschien auch er, wild rollten seine Augen in ihren Kreisen, hörbar klopfte seine Brust, eine heftige Be ­ wegung seines Innern war nicht zu verkennen. Schweigend setzte er sich neben Besse ­ rer, das Haupt in die Hand stützend, und als dieser seinen Vortrag begann, warf der Kollege nur zuweilen einen stechenden Blick ans ihn! Der Gegen ­ stand der Beratung war eine von den heftigsten Drohungen begleitete Auf ­ forderung des Kurfürsten von Bayern, sich jetzt, nachdem der Schwedenkönig in das nördliche Deutschland zurückgekehrt war, von dem mit ihm geschlossenen Bündnisse losznsagen nnd zu der kaiser ­ licheil Partei überzutreten. Groß war der Eindruck, den das Schreibeil in der Ratsversammlung der freien Reichs ­ stadt kllm hervorbrachte; denn die in demselben -enthaltene Drohung des Bayernfürsteil, daß, falls Ulm seiner Aufforderung kein Gehör gebe, ihre Reichsnnmittelbarkcit auf dein Spiele stehe, konnte für vollkommen begründet angenommen Vierden, da nach glaub ­ würdigen Nachrichten bedenkende bay ­ rische Trnppenabteilnngeil sowohl an der Donau herauf als über das Lech ­ feld her die Richtung gegen die Reichs ­ stadt nahmen, während die schwedische

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2