Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

44 königliche Held, umgeben von den be ­ rühmtesten Männern seines Heeres. An seiner Seite ritt ein jugendlicher Krieger, dem er leiseWorte zuflüsterte, nnd der sich glücklich Preisen mochte, auf diese Weise in Ulms Toren einziehen zn dürfen. Wohl hatte er auch Ursache dazu, denn da nahte er sich ja dein Hause, in das er als Schneider Eintritt gefunden hatte. Er blickte hinauf zn den Hellen Fenstern, ans deren einem Regina mit bleichen Wangen herniederschaute auf die Straße. Ihre Blicke begegneten ein ­ ander, dec ihrige war durch Tränen getrübt, der seinige dagegen war voll seliger Hoffnung. In der Herberge „Zur hohen Schule", im belebtesten Teile der Stadt gelegen, war für den König Quartier zugerüstet worden; hieher bewegte sich unter dem Klange der Glocken der Zug; die Bürgermeister und mehrere Mitglieder des Rates wurden zur königlichen Tafel gezogen und das Balk verlief sich, während die schwedischen Truppen die für sie bereit gehaltenen Quartiere bezogen. DieMenge, hatte sich zerstreut uud die beiden Bürgermeister waren eben im Begriff, von der „Hohen Schule" aus sich in ihre Wohnung zu begeben, da kam ihnen auf deinMarktplatze von der Herddruckergasse her einGetümmel von Menschen entgegen; Hatschier-Hellebarden erklangen, und von mehreren Schergen umgeben, schritt ein Weib mitwildflatternden Haaren und gerun ­ genen Händen schwankend einher, neben ihr trug ein Fischer einen bedeckten Korb. Besserer trat näher, um sich zn erkundigen, was es gäbe. „GoldschlagersMade ist's," berichtete der Fischer, „sie hat ihr Kind umge ­ bracht und imDonannioor versenkt, hier hab ich's aufgefunden!" er wies dabei auf das, was er in seinen Händen trug. Ein Blitzstrahl schien den Bürger ­ meister Harsdörfer getroffen zu haben, als er die Kunde vernahm; Todesblässe überzog sein Antlitz und schnell sich ab ­ weichend, wollte er in aller Stille davongehen, als Magdalena, die ihr rollendes Auge umherschweifen ließ, seiner ansichtig wurde. „Albrecht!" rief sie mit gellender Stimme, indem sie sich losriß und auf Harsdörfer zueilte, „rette mich, mach' Anstalten zur Hochzeit und schenk' meinem Kinde seinen Vater; sie sagen, ich habe es umgebracht, aber ich hab's nur sicher aufgehoben — und wenn's zum Hochzeitstanz geht, will irh's schon bringen!" Einem Verbrecher gleich stand Hars ­ dörfer da, während Besserer einen for ­ schenden Blick auf ihn heftete; er schien zu erwarten, daß sein Amtsbruder mit der Ruhe der Unschuld den verwirrten Reden desWeibes begegnenwerde; aber als dieser seine Fassung nicht wieder zu erringen vermochte, trat er einen Schritt zurück. „Führt das Weib nach dem Frauenturm", befahl er den Hatschieren, und als sie dahin gebracht war, ließ er den Syndikus der Stadt auf das Rathaus bestellen, wohin er, ohne ein Wort weiter mit Harsdörfer zu sprechen, sich begab; in seinem In ­ nersten erschüttert, kam dieser in seiner Wohnung an. ch -I- * Der große Saal des Rathauses zn Ulm war mit schwarzem Tuche behan ­ gen, Wachskerzen brannten auf der Tafel, in deren Mitte ein blankes Schwert aufgerichtet war, und mit dem neunten Glockenschlage versammelten sich nach und nach die Mitglieder des Rats und nahmen in ihrer dunklen Amtstracht schweigend die ihnen gebüh ­ renden Plätze ein. Noch waren die Sitze der beiden Bürgermeister leer, als die Türe sich öffnete und Besserer mit Harsdörfer eintrat, die sich sofort zu ihren Stühlen begaben. Auf den Wink des ersterenwurde dieHauptpforte auf ­ gerissen, durch welche nun das Volk in neugieriger Hast sich hereindrängte nnd an den Wänden umhergrnppiert des

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