Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

41 Nutz und Frommen seiner Mitbürger ­ in solch bedenklicher Zeit verwalten will, muß starke Schultern haben, und es hat mir beinahe schon gebangt, wenn ich zufällig erfuhr, daß viele meiner werten Bürger beabsichtigen, mir ihre Stimme bei der morgenden Wahl znkonnnen zu lassen. Was man hier nicht alles zn sorgen hat! - Indes, wenn je mir die unverdiente Auszeichnung zu ­ teil würde, zn dieserWürde erhoben zn werden, ich wüßte schon, wie ich mich in schwierigen Fällen zn benehmen hätte. Ans sich selbst kann man nicht alles Nüssen, und darum würde ich stets meh ­ rere alte gute Freunde zu Rate ziehen, die, selbst znm Volke gehörend, um des Volkes Notdurft Bescheid zu geben ver ­ mögen. In diesem Tone unterhielt sich Harsdörfer längere Zeit mit den Anwesen ­ den und wußte alle so für sich zu ge ­ winnen, daß er die Überzeugung mit sich nehmen dnrfte, keiner der Gäste werde ihm am Wahltag seine Stimme versagen. Der heutige Tag überhaupt war für ihn bedentnngsvoll gewesen-, er hatte bei Besserer nm Reginas Hand geworben, und günstig hatte die Ant ­ wort gelautet, wenngleich derVater die eigentliche Entscheidung seiner Tochterselbst überlassen zn wollen gemeint Ivar. — Die Aussicht, regierender Bür ­ germeister seiner Vaterstadt zu werden und die Hand eines der schönsten und reichsten Mädchen der Stadt zn erhal ­ ten, welche Zukunft konnte sich für ihn bei solchen Hilfsmitteln und Verbin ­ dungen eröffnen! - Trunken von diesen Hoffnungen, schritt er die breite Straße zu seiner Wohnung hinan, als er im Mondlicht eine dunkle Gestalt vor der Türe seines Hanses stehen sah, die seiner Ankunft geharrt zu haben schien, denn sie kam, sobald sie seiner ansichtig ward, auf ihn zn. Harsdörfers böses Gewissen rannte ihm zn, wer die Gestalt sei, und betrog ihn auch nicht; es waren Magdalenens Züge aber nicht mehr, wie in alten ! Zeiten fenrig und freudestrahlend, son ­ dern ein Antlitz, aus dem jedes Leben gewichen zn sein schien, starrte Heister ­ haft dem bestürzten Ratsherrn ent ­ gegen. „Albrecht," sprach sie mit langsamer, matter Stimme, „wie steht es zwischen uns beiden?" „Warum hier, gute Magdalena?" erwiderte Harsdörfer, der schnell vor ­ übergehen wollte, „gönnemir nur kurze Zeit, denn dn wirst einsehen, daß schon seit Wochen meine Zeit so ansgefnllt war, daß ich mich dir unmöglich widmen konnte." „Schäme dich," sagte heftig daLMäd ­ chen, „ein Edelmann zn sein und lügen! Dochwas sage ich, war nicht dein ganzes Tnn und Treiben ein Gewebe von Lügen nnd ist nicht der Teufel der Vater der Lüge? Ich komme nicht, nm mit dir zn kosen, ich frage dich bloß: Erinnerst du dich der Schwüre, mit denen dn des armen Waffenschmiedes Tochter bestricktest? Der teuren Ver ­ heißungen, mit denen dn ihren Sinn, ihre Zncht nnd Scham in Schlummer wiegtest, all der Schmeichelworte, durch die du es über sie vermochtest, daß sie, jede Rücksicht vergessend, deinemWillen sich ergab, einem Willen, den sie mit Trene nnd Ehre im Bunde glaubte? Albrecht! Jene schwache Stunde ist nicht ohne Folgen geblieben, wie lange ich anch nicht daran glauben wollte, mit Mühe nur täusche ich noch die Welt. Jetzt entscheide, was es werden soll." „Ich werde treulich für dich sorgen, sei dessen gewiß", antwortete der Rats ­ herr in größter Verlegenheit. „Trenlich sorgen?" wiederholteMag ­ dalena. „Du willst also, und ohne Aufschub, deinen Fehler gntmachen, willst als ein ehrlicher Mann mich zum Altar und als Ehefran in deine Be ­ hausung führen?" „Es kann noch alles kommen, wie dn wünschest", war Harsdörfers Antwort. „Und willst du dem Besserer sein

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