Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

Der Ratsherr von Ulm. Historische Erzählung nach der Chronik ul der alten Reichsstadt Ulm lagerte sich ein milderHerbstabend nnd der größte Teil der Bevölkernng strömte durch die Tore ins Freie hinaus. Nur Magdalena, die Tochter des Waffen ­ schmiedes Goldschlager, saß in ihrer Stube vor der Kunkel; allein die Spin ­ del ruhte und mit sehnsüchtigem Blicke sah sie auf die Straße hinab. Vou unten herauf vernahm sie jedoch nichts als die eintönigen Hammerschläge aus der Werkstätte ihres Vaters. Endlich blickte sie hinaus in die dnnkle Nacht, ließ das Haupt auf die Brust hinabsiukcn und stieß schwere Seufzer aus. Ihr Vater, ein ernster Mann von sechzig Jahren, welcher jetzt das Zim ­ mer betrat, weckte sie plötzlich aus ihren Träumereien. Sie blickte zu ihmauf und errötete, als er mit liebevoll ernstem Blicke fragte: „Worüber sinnst du wieder, mein Kind? Warumist dir die Einsamkeit so teuer geworden?" „Ich war nicht allein, Vater," er ­ widerte sie leise. „Armes Mädchen," seufzte der Vater, „ich zürne dir nicht, aber ich, dein alter Vater, bitte dich, verbanne eine Nei ­ gung aus deinem Herzen, die dich nie glücklich machen kann, die dir deine Ruhe und deinen Frieden auf ewig raubeu wird. Der Himmel wird dir Kraft geben, dich selbst zu bezwingen und diesen Mann zu fliehen, der nicht zu deinem Glücke geboren ist, wenn du nur ernstlich willst." Magdalena erwiderte: „Ich weiß, Vater, daß Ihr es gnt mit mir meint, aber ich kann nicht von Harsdörfcr lassen, so gern ich wollte. Ich gelobte ihm Treue und Gott läßt mit Schwü ­ ren kein frevelhaftes Spiel treiben. Die Zeit meiner Ruhe nnd meines Glückes ist dahin, aber ich möchte ihn doch um der Stadt Mm. Vou Gligcn Simson. (Nachdruck verboten.) die ganze. Welt nicht verlieren. In seine Hände habe ich mein Glück gelegt, nnd am Tage des Gerichtes wird er gewiß dereinst Rechenschaft darüber oblegen können, wie er das ihm anvertraute Gut verwaltet hat." „Aber bedenke, liebe Magdalena," sprach derWaffenschmied, „werwir sind und wer Harsdörfer ist; ich ein armer, schlichter Bürgersmann, er ein stolzer Patrizier, durch Ahnen und Güter groß. Wohin, sage mir, wohin kann dieses Verhältnis führen? Willst du, die Tochter eines ehrlichen Mannes, einem leichtfertigen Edelmanne deine Ehre Preisgeben?" „Um Gotteswillen, Vater, schweigt!" fiel ihm Magdalena erschreckt in die Rede. „Wie möget Ihr so von mir denken?" Magdalena warf sich an die Brust ihres Vaters und weinte heftig. Dieser drückte sie sanft an sich, warf dann seinen Mantel um und ging hinaus. Magdalena setzte sich an ihren Tisch, stützte den Kopf gedankenvoll in die Hand und sprach vor sich hin: „Ach, guter Vater, wüßtest du, was dieses Herz bewegt. Es ist zu spät, ich habe nur eineWahl: nie von ihm zu lassen oder zu sterben. Albrecht wirb mich nicht verlassen, er ist treu wie Gold. Täte er das, so müßte ich ja wahnsinnig werden." Still rind ernst trat indes ein junger Mann in die Stube, legte seinenMan ­ tel ab und zeigte eine männlich schöne Gestalt und ein edclgefornites Gesicht. Es war Harsdörfer, der GeliebteMag ­ dalenas. Ihm entgegeneilend, rief sie im Tone des Vorwurfes: „Kommst du endlich, Böser? Wie lange hast du mich warten lassen!" Harsdörfer, auf dessen Stirn es wie ein Schatten lag, erwiderte kühl: „Dringende Ratsgeschäfte hielten mich; die Pflicht geht allem vor." 3

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