Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

ZI jetzt in Paolos Nähe angelangt und ließen sich auf eine kleine grüneMoos ­ bank nieder. Berauschender Wohlgeruch erfüllte die Luft, feuerrote Rofen, Nelken und Kakteen glühten und bräunten in dem dunklen Grün der Lorbeerbüsche, Magnolien, Veilchen und Reseda blühten — alles legte sich wie mit Märchenzauber um das Paar, besonders um das junge, unerfahrene Herz der Komtesse. Jetzt lag Alberti auf den Knien bor ihr, und „Klarissa, süßes, geliebtes Mädchen," kam es leidenschaftlich von feinen Lippen, „sage, daß du mein sein willst, daß du mich ... ." Weiter kam er uicht, denn eine feste Hand legte sich auf seinen Arm und riß ihn empor, während eine bebende Stimme das Wort „Elender Verfüh ­ rer!" zähneknirschend aussprach. Kla ­ rissa schrie laut auf, als sie Paolo er ­ kannte, der leichenblaß und wutent ­ brannt vor Alberti stand. Letzterer griff nach seinem Degen, doch Paolo kam ihm zuvor, indem er ihm den Degen entwand, zerbrach und ihm denselben hohnlachend vor die Füße warf. Sie maßen sich mit haßerfülltenBlicken, ein furchtbarer Auftritt mußte kommen. Klarissa wollte flüchten, sie konnte nicht, ihre Füße wurzelten an dem Boden; sie wollte schreien, sie konnte uicht, die Kehle war ihr wie zugeschttürt; sie zitterte am ganzen Leibe, sie schloß die Augen, sie fürchtete für Albertis Leben, denn sie kannte Paolos Riesenkraft, und bei dem Haß der beiden mußte jetzt auf der Stelle einer bleiben. Da, in diesem entsetzlichen Augen ­ blick, eswar gegenMorgen, ertönte auf einmal ein furchtbares Gekrach und Getöse, als ob die Hölle los sei, als ob die Welt untergehen wollte, ein Brau ­ sen, als ob das Meer über ihnen zu ­ sammenschlagen wollte. Die Drei im Wintergarten wurden geschüttelt und umhergeworfen wie junge, durch den Sturm entwurzelte Bäumchen — ein schreckliches Erdbeben hatte die schöne, blühende Stadt in wenigen Sekunden in einen Trümmerhaufen verwandelt. Auch Klarissas Palast lag in Trüm ­ mern. Die Menschen, die eben noch so vergnügt waren, alle, alle begraben unter Schutt und Steinen .... Totenstille herrschte in der Trüm ­ merstadt. Die Hilfe kam, aber langsam. Nach und nach machte man sich daran, die unter Schutt und Steinen Liegen ­ den auszugraben und an das Tageslicht zu fördern und, so viel es ging, dem Tode zu entreißen. Klarissa, Paolo und Alberti hatten ihre Rettung nur dem Umstande zn danken, daß sic sich zur Zeit des ent ­ setzlichen Ereignisses gerade imWinter ­ garten aufhielten. Die grüneil Lorbeerbüfche bildeten eine Lande über den dreien, keiner von ihnen war verletzt, nur Klarissa lag iu tiefer Ohnmacht, von dem schützenden Arme Paolos um ­ fangen. Feindselig blickte Alberti auf die beiden. Durch eine kleine Öffnung sah etwas vom grauenden Morgen herein und ein gelinder Lufthauch machte die grünen Blätter erzittern. Unheimliches Gekrach und Getöse un ­ terbrach die Totenstille, der Sturm fauste über dem grünen Laubdach hin und hinter dem Wintergarten hörte man das Gebrause des Meeres, das, meterhoch gestiegen, die gegenüberlie ­ genden Häuser verschlungen hatte. Paolo sah sich nach einer Öffnung um, durch welche er mit Klarissa ins Freie gelangen konnte, doch umsonst, häuser ­ hoch lag der Schutt vor dem Winter ­ garten. Sie mußten aushalten, bis Hilfe kam. So lagen sie nun schon zwei Tage ohne Nahrung und, wie es schien, dem entsetzlichen Hungertods preisgegeben. Klarissa lag mit geschlossenen Augen, und voller Verzweiflung blickte Paow auf das schöne Mädchen. Sein Leben würde er mit tausend Freuden geben, könnte er sie nur retten, die hier lang ­ sam dem Tode cntgegensiechte. Da, horch, wieder ein furchtbares Krachen, ein schreckliches Beben, daß sie

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