Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

30 Ei» paradiesischer Abend folgte dem Tage, die Sterne lenchteten groß und hell am dunklen Firmament, der Blond spiegelte sich silbern in der tiefblauen Flut, die Stadt, die sich längs des Meeres hinzog, erstrahlte in Hellem Lichte, die dichten Lorbeer- und Myrthenbüsche dufteten und blühten, goldig schimmerte es in dem dunklen Gebüsch der Orangen- und Zitronenhaine, es war ein gesegnetes Stückchen Erde, ein Paradies, das sich da dem entzückten Beschauer darbot, an dem sich das trun ­ kene Auge nicht satt sehen konnte. Der Ballsaal im Palast der Kom ­ tesse Klarissa bot einen feenhaften An ­ blick. Herrliche, frische Blumen, bon einem Farbenreichtum, einem Duft, wie sie nur der Süden kennt, hingen in Festons von den Wänden herab, die Prachträume mit süßem, balsamischen Duft erfüllend. Das elektrische Licht er ­ goß sich in Hunderten von graziösen Birnen und Tulpen auf die glänzende Versammlung und verbreitete eine Tageshelle in den mit dunkelroten Samttapetcn bekleideten Sälen. Am Eingänge des Saales stand Klarissa neben der Gräfin Oriola. BeideDamen empfingen ihre Gäste ans das liebenswürdigste und zuvorkom ­ mendste. Klarissa sah schön, bezaubernd schön aus iu einem Kleide von feinstem indischen Weißen Mousselin. Im dunk ­ len Haar ein herrliches Diadem ans Brillanten und Rubinen, ähnlichen reichen Schmuck trug sie um Hals und Arme. Es war ein kostbarer alter Familienschmuck; sic, die stets nnr frische Blumen trug, hatte ihn heute, einer Laune folgend, angelegt. Paolo stand iu einer Ecke des Saales, den Blick unverwandt nach dem Ein ­ gänge gerichtet, als erwarte, er jemand oder etwas, und da kam es in der Ge ­ stalt des schönen Kapitano Alberti, der sich den beiden Damen näherte. Paolo ballte die Hände in ohnmächtiger Wut, als er das Erröten Klarissas, das Mienenspiel der beiden sah, er glaubte die leisen Worte zu verstehen oder zu > erraten, die sie, Aug iu Aug, sich zu ­ flüsterten. EineHand legte sich auf seinen Arni. Hastig drehte er sich um, es war die Gräfin Oriola. „Paolo, die ganze Gesellschaft tuschelt über dies Verhältnis zwischen Klarissa und Alberti, machen Sie dem heut Abend ein Ende, Sie haben ein Recht dazu." Ein lauschig trauliches Plätzchen war in: Palast Klarissas der kleineWinter ­ garten, der sich den übrigen Räumen anschloß. Großblättrige Palmen, blü ­ hende Zitronen- nnd Orangenbäumchen mit den zarten, duftenden Blütenster ­ nen, reizende kleine Plätzchen, mur ­ melnde Quellen und Kaskaden machten dies entzückende Plätzchen zu einem Lieblingssitz Klarissas. Paolo hatte sich unbemerkt in dies kleine Eldorado zurückgezogen. Er hatte genug gesehen und wußte jetzt, das zwischen Alberti und d:r Komtesse ein Einvernehmen bestand, aber so leichten Kaufes sollte seiue Braut nicht davon ­ kommen. Sie war seine Braut, er würde alles daransetzen, sie sich zu sichern; und dann Alberti, dieser be ­ kannte, stadtbekannte Wüstling, Spie ­ ler und Trinker, welch ein Leben er ­ wartete Klarissa an seiner Seite. Sein Entschluß war gefaßt. Vor seiner Abreise mnßte es nicht nnr mit Klarissa zu einer Aussprache kommen, nein, auch mit Alberti mußte er ins Reine kommen. Nachdem er alles reiflich überlegt, war er eben im Begriff, in die Tanz ­ säle znrückznkehren, als seine Aufmerk ­ samkeit durch ein leises Geräusch ge ­ weckt wurde. Gespannt blickte er nach der Türe, jeder Nerv zuckte in ihm, denn er ahnte förmlich, was er sehen und erleben würde. In der grünen Wölbung erschienen Alberti und Kla ­ rissa; ihr Arm lag in dem sinnigen, er ­ halte sich vorgebeugt nnd sah sie mit seinen Glutaugen verzehrend an, er flüsterte Worte der heißesten Leiden ­ schaft, nur ihr verständlich. Sie waren

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