Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

22 die Laterne von seinem Halse und leuchtete in alle Ecken und Ritzen hinein. Zweimal schritt er die Schlucht hin und zurück — von der Leiche seines Bruders — war keine Spur zn finden. Doch zu lange schon war er in der schlechten Luft unten verweilt. In den Ohren fing es ihman zu sausen — sein Kopf begann ihm schwer zu werden und noch schwerer der Atem und plötzlich erlosch auch das Licht. Mit dem Auf ­ gebot aller Kräfte begann er an dem Seile zn zerren und zu reißen — dann war es ihm, als wollte er in einen tiefen Schlaf verfallen. „Hollah! Hollah! Ungezogen!" schrie der Förster oben auf dem Stein und faßte selbst mit an. Die Knechte zogen, daß manche Hand blutige Striemen bekam. „Schnell!" schrie der Förster aber ­ mals. „Ich seh' ihn schon! Um Gottes willen! Er läßt den Kopf hängen — er ist ohnmächtig." Straff hielten die Knechte das Seil gespannt, während zehn Hände den Körper des Bewußtlosen erfaßten und auf den Stein hoben. Dann trugen sie ihn hinab in denWald, legten ihn aus das weiche Moos, während der Förster den Kopf des Burschen ans seinem Schoße hielt und mit Wasser wusch. Endlich hob Matthias die Brust zu einem schweren Atemzuge — endlich schlug er die Augen auf nnd blickte um ­ her. Hastig trank er aus einer Flasche mit Wein, welche der Großknecht ihm reichte, und die Röte kehrte allmählich auf seine Wangen zurück. Er las deutlich die Frage, welche in aller Augen brannte — zog die Teile von Jakobs Büchse unter der Jacke her ­ vor, reichte diese dem Großknecht und sagte zu diesem: „Sag' dem Bauer, der Jakob sei nicht in die Kluft ge ­ stürzt." Ein Ruf des Erstaunens ging von Mund zu Mund bei diesen inhalts ­ schweren Worten. Der Förster erfaßte krampfhaft den Arm des Burschen. „Matthias!" rief er. „Jst's wahr? Und du hast genau nachgesehen?" „Jeden Winkel hab' ich durchsucht — die Büchsen hab' ich gefunden nnd ein totes Getier — von einen: menschlichen Leib keine Spur. Ich kann's be ­ schwören." „So ist der Jakob gar nicht tot!" schrie der Förster auf und derMatthias nickte ihm verständnisvoll zu, als hätte der Förster nur seine eigenen Gedanken ausgesprochen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem Geschehenen durch das Dorf. Das Wirtshaus war voll wie an einemSonntag und die Knechte vom grünen Hof waren heute abends wichtige Leute. So schön war der Abend jedoch nicht als der im Försterhause. Vroni war nach des Försters Fortgehen am Nach ­ mittag in einer fieberhaften Unruhe zurückgeblieben, welches sie von Stube zu Stube trieb und vor die Türe des Hauses, wo sie lange stand, mit der Hand die Augen beschattete und den Weg entlang sah. Immer bänger ward es ihr ums Herz, je länger die Ab ­ wesenheit des Onkels und des Mat ­ thias dauerte, und als sie die beiden endlich von fern erblickte — den Mat ­ thias so bleich und auf den Arm des Försters gestützt — da — keines wußte, wie es so plötzlich geschah — da lag Vroni auf einmal am Halse des Bur ­ schen und der Förster lachte dazu aus vollem Herzen. Nun saß das Paar Hand in Hand auf der Bank vor dem Tifch und sah sich stumm in die Augen und der Förster hatte heute gar so viel mit dem Dachs! zu schaffen, welcher zn seiner Belustigung jedesmal zu knur ­ ren und die Zähne zu fletschen begann, so oft der Matthias sein Gesicht dem des Mädchens nähern wollte, wenn er sich vom Förster unbeachtet glaubte, und über das Knurren des Hundes er ­ schrocken jedesmal znrückfuhr. Dem Förster blieb nichts anderes übrig, als den Hnnd hinauszuführen, welche Minuten Matthias redlich benutzte.

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