Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

20 Dorf hernmgeredet — aber es findet sich keiner, der hinunter will/' „Wie ging das anch?" fragte Mat ­ thias. „Der Bauer hat aus der Stadt ein langes, starkes Seil kommen lassen und meint, man müsse dies um den großen Stein hernmführen und an die dicke Buche dort festmachen. Das müßte der, der es wagen will, um den Leib fest ­ machen rind sich von einigen starken Leuten hinablassen und wieder Herauf ­ ziehen lassen." Matthias wurde nachdenklich. „Und geht's wirklich ans Leben?" „Wer weiß, wie's drunten ist", ent ­ gegnete der Großknecht. „Die Luft soll schlecht sein — und außerdemauch nicht ganz geheuer. Aber — so viel weiß ich, daß, wenn ich jünger nnd stärker wär' — ich den Jammer vom Bauer nicht länger mit ansehen könnt' — " Matthias schritt eine Strecke mit zu Bodeu gesenkten Augen neben dem Knechte daher. Dann blieb er plötzlich stehen, hob denKopf und sagte: „Kannst heute zu Mittag genug Leute auf ­ treiben?" „Zu was?" „Ich weiß einen, der's unternehmen will. Nicht aber um das Geld — er will's umsonst tun, um dem Bauer zu zeigen, daß er trotz alledem noch genug Kindesliebe in der Brust hat." „Matthias! Du?" „Ja — ich! Geh' jetzt uud bereit' alles vor. Aber eine Bedingung: es darf's keiner früher wissen, wer dort hinnntersteigen will." Der Knecht stand noch lange und blickte dem Davoneilendcn nach, dann fuhr er mit der Hand über die Augen nnd ging heim auf den grünen Hof. Matthias hatte mittags kaum einen Bissen angerührt. Es war, als ob er etwas Unrechtes auf dem Gewissen hätte, das ihn nicht die Angen voll auf ­ schlagen ließ. Der Förster und Brom schrieben cs der Traurigkeit über den jüngsten Vorfall am grünen Hofe zu und waren erstaunt, als der Matthias ! nm ein Glas Wein bat, dieses hastig austrank, dein Förster nnd dec Vroni die Hand reichte und ohne einWort zu reden, fortging. Vroni war bleich geworden. „Onkel!" rief sie. „Der Matthias hat nichts Gutes vor — geht ihm nach." Der Förster sah das Mädchen über ­ rascht an. „Steht es so?" sagte er, in ­ dem er die Hand auf den Kopf des ­ selben legte. „Steht es so mit euch? Aber fürcht' dich nicht — Kind — der tut nichts Böses. Es hat ihn nur über ­ mannt. Übrigens geh' ich ihm nach zu deiner Beruhigung." Der Förster erstaunte nicht wenig, als er dem Burschen von fern bis zum Gipfel des Waldes gefolgt war, dort in der Gegend des großen Steines lautes Rufen vieler Stimmen zu Ver ­ nehmen. Er trat bis an den Rand der Lichtung und sah, wie etwa ein Dutzend Knechte nach den Angaben des Groß ­ knechtes vorn grünen Hof ein dickes Seil um den Stamm der vereinzelt stehenden alten Buche schlangen, wie Matthias, der bei Seite stand, wäh ­ renddessen eine Laterne, in welcher ein Licht brannte, sich um den Hals hing, dann auf die Männer zutrat und sich das Ende des Seiles mehrmals um den Leib schlingen ließ. Der Förster trat rasch auf den Bur ­ schen zu. „Matthias!" rief er, „was willst du tun?" Stumm drückte der Bursche mit. der Rechten die Hand des Försters und deutete mit der andern hin zu der Kluft. „Das heißt Gott versuchen — Mat ­ thias! Was soll es nützen? Dem Toten gibst dn das Leben nicht wieder." „Aber dem Vater die Ruh'." Mat ­ thias sagte es ruhig, bestieg dann rasch den Stein nnd winkte den Knechten. Diese stellten sich hintereinander auf. Drei oben auf dem Steine, die übrigen in einer Reihe bis zur Buche, den Strick mit beiden Händen fassend. Matthias kniete nieder, schlug ein Kreuz, dann rief er: „Los!" Langsam

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