16 als der Wendlehuer verbrachte er die Wochen in vergeblichem Grübeln. Aber nicht der Schmerz allein war es, dem er nachhing, er sann dein Geschehenen nach, nm einen Faden zu findeu, welcher ihu in die Mitte des Rätsels führen sollte, des Rätsels vom unerklärlichen Verschwinden des Jakob. So war es Spätherbst geworden. In bunten Farben prangte das Waldlaub rind unter den Füszcir begann es schon laut zu knistern, als eines Sonntags Nachmittag Matthias planlos durch denWald schritt. Doch unwillkürlich wie jedesmal, so oft er den Wald betrat, führten ihu seine Schritte jenen Weg entlang, welcher zu dem Abgrunde führte, und wie jedesmal kletterte er den Felsen hinauf, durchsuchte jedes Grasbüschel und starrte lange in die finstere Kluft hinab. Warum? Er war sich's selber nicht bewusst. War er doch überzeugt, daß er keine Spur mehr findeu könnte. Wäre ihm bei seinem wiederholten Suchen auch eine solche entgangen, der Regen der vergangenen Tage hätte sic längst verwischt. Da, als er wieder in den Wald zu rücktrat, kam ihm der Gedanke, den Förster aufzusuchen, ihn, den alten, be währten Freund, der mit dem Jakob fast noch mehr verloren als er oder sein Vater. Rasch schlug er die Richtung zum Försterhans ein, und bald hatte er den jenseitigen Waldrain erreicht, wo am Ufer eines kleinen Baches das Försterhaus stand. War der Förster nicht daheim, daß kein Gebell der wachsamen Hunde ihu begrüßte, wie es früher geschehen? Aber dieGartentüre stand offen und auch die Haustüre war unversperrt. Matthias öffnete diese und wollte den Flur des Hauses durchschreiten, als die Zimmer türe sich öffnete, eine Mädchcugestalt rasch heraustrat, doch mit einem leichten Ausrufe wieder zurückfuhr, als sie Matthias erblickte. Da sie jedoch das grenzenlose Er staunen dcs Burschen erblickte, mit wel chem er in das hocherrötcte Antlitz seines Gegenübers starrte und erst nach tiefem Atemholen die Frage nach dem Förster hervorbrachte, lächelte dasMäd chen und erwiderte: „Der Onkel ist nicht daheim, muß aber jeden Augenblick kommen. Wer seid Ihr?" fragte es weiter, da Mat thias abermals wortlos dastand. „Der Wendlehner-Matthias", ant wortete dieser, und als er sah, wie das Mädchen bei Nennung seines Namens erschrak, fand er seine Fassung wieder und sagte: „Ihr habt keinen Grund, vor mir zu erschrecken, fragt nur den Förster." „Ich bin nicht erschrocken, nur über rascht." „Das ich komm'?" setzteMatthias die abgebrochene Rede des Mädchens fort. „Ich hätt' schon sollen früher kommen. Ist die Kathrin auch nicht daheim?" Er fragte es in seiner Verlegenheit, da er nicht wußte, was er weiter sagen sollte. „Tie Kathrin ist krank, seit Wochen schon. Darum hat mich der Onkel aus der Stadt zu sich genommen", antwor tete das Mädchen. „Aus der .Kreisstadt? So seid Ihr die kleineVroui, von der der Förster immer erzählt und für die er die Äpfel und Nüsse alljahr in die Stadt geschickt hat?" „Wird wohl so sein", lachte dasMäd chen. Und zwei Reihen weißer Zähne glänzten zwischen den kirschroten Lip pen hervor, wenn cs lachte. Matthias bemerkte dies nur allzugut, wie auch das, daß die ehemals kleine Vroni glänzend braune, dicke Zöpfe und schöne, nicht weniger glänzend braune Augen hatte und-zwei herzige Grüb chen in den Wangen, welche voll und blühend waren wie die vorn schönsten Dorfdirudl, und doch war es städtische Tracht, wenn auch schlicht und einfach, in welche das Mädchen gekleidet war. Vielleichtwar es das, was den Burschen so beklommen machte, so daß er froh war, als des Försters Schritt in dem Flur erscholl und dieser bald darauf
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