Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

14 stieg auf den Wagen und hieb auf die Pferde ein, daß diese wie besessen mit dem Wagen davoucannten. „Und so waren sie todfeind geworden, die zwei, der Wendlehner und der För ­ ster", schloß Sepp seine Erzählung. II. Wenn der Mensch noch so traurig ist und noch so unglücklich in der Seele, sein Leib schert sich nicht darum und verlangt immer, was ihm zukommt an Pflege und Nahrung. Er mahnt darum so lange und so stark, bis ihm wird, was er will. Und so ist es auch mit einem Hofe. Wenn die Seele des Hofes — sein Herr — auch noch so un ­ glücklich und traurig ist, der Hof ver ­ langt seine Wartung wie zu anderer, froher oder gleichgültiger Zeit. Und zu seiner Wartung gehören nicht nur die arbeitenden Hände, sondern auch der Mund, welcher diese Arbeit anzu ­ schaffen und zu leiten versteht. Dieser Mund hielt auf dem grünen Hofe seit Tagen die bleichen Lippen, geschlossen und öffnete sie nur, nm hie und da einen tiefen Atemzug zu tun. Ja — als ob er auf seinen Hof ganz und gar vergessen hätte, saß der Bauer in der Stube drinnen und blickte so zornig drein, wenn jemand die Türe öffnete und eintreten wollte, daß sich keiner mehr traute, an ihn eine Frage wegen der Arbeit zu richten. Da trat der Großknecht zum Mat ­ thias. „So kann's nicht weiter gehen," sagte er, „du mußt dich der Sach' annehmen, Matthias, wenn der Bauer es nicht tun will. Dir gebührt's jetzt." „Du hast Recht, Sepp," erwiderte Matthias, „aber du mußt mir helfen, daß ich's lern'." Wohl zuckte es um die Lippen der Ehhalten wie unterdrücktes Lachen, Wohl blitzte es wie Spott in ihren Augen auf, als Matthias zum ersten ­ mal unter sie trat, ihnen die Arbeit des Tages zuwies und selber mit Hand anlegte. Eine Woche lang lachten und spot ­ teten sie über den „neuen Bauer", nur eine Woche lang, dann wurde ihnen die Sache etwas Alltägliches! später fanden sie, daß der Matthias doch Schick genug hätte zur Arbeit und zuletzt mußten sie zugestehen, daß sein Anschaffen Hand und Fuß hätte, und manches sogar einfacher und kürzer ge ­ macht wurde, was früher nach alter Art viel Zeit und Mühe erfordert hatte. Sie wußten es aber nicht, wie schwer und sauer es dem Matthias anfangs geworden, wie oft seine schwachen Hände ihm während der Arbeit er ­ lahmten und wie ihn jede Muskel des Körpers schmerzte, wenn er sich abends zu Bette legte. Aber merkwürdig — so gut hatte er noch nie geschlafen wie diese Woche und so gut hatte ihm noch nie das Essen geschmeckt, und als die Woche um war, da waren die Arme und Hände schon vielwilliger und umso geschickter, da der Kopf des Burschen denken gelernt hatte und jenen zeigte, wie sie es sich leicht machen könnten, indem sie sich bei allem einen Vorteil herausfanden. Indem Matthias nun sein ganzes Denken seiner Arbeit und dem Hofe zuwenden mußte, trat bei ihm das Grübeln über das Jüngstgeschehene all ­ mählich in den Hintergrund, seine Stirne begann sich zu glätten, seine Wangen sich zu färben; er ging nicht mehr so gebückt einher wie früher, ja es schien fast, als ob er in die Höhe wachse, wie er an Körperkraft gewann. Nach wochenlangem fruchtlosen Da ­ hinbrüten stand der Wendlehner eines Morgens an dein Feistster der Stube und blickte durch die kleinen Scheiben hinaus auf die Gasse. Beim Nachbar drüben stand das Hoftor weit offen, so daß derWendlehner bis weit in den Hof hineinblicken und sehen konnte, wie die Knechte und Mägde in den Scheu ­ nen das ausgedroschene Korn in Siebe

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