Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1910

4 den grünen Hof und seine Leut' genau? Ich mein', wie sic miteinander stechn?" „Nicht gar genau. Tu weißt, daß ich alleweil nur am Sonntag zn euch ins Torf gekommen bin und da haben wir immer von 'was anderem zn reden ge ­ habt. So oicl weiß ich, daß im grünen Hof kein Dirndl daheim ist, drum hat der mich auch nicht besonders inter ­ essiert." „Freilich — ", fuhr Sepp fort, „Tirndl hat der Wendlehner keines. Aber zwei Buben hat ihm die Bäuerin znrückgelassen, den Jakob und den Matthias. Jakob der ältere war der schönste Bursch weit nnd breit." „War?" fragte der Urlauber. „Lebt er denn nicht mehr?" „Wirst schon hören. Laß' mich nur nach der Ordnung erzählen", rügte ihn Sepp nnd fuhr fort: „Der Jakob war groß und stark, flink wie eine Dirn' nnd lustig, so lustig, daß, wenn er einen mit seinen Hellen Augen angeschaut hat, man mit ihm hat lustig sein müssen, ob man hat wollen oder nicht. Er war darum auch der Augapfel vom > alten Wendlehner, der eigentlich nur ! dem Namen nach Bauer war. Den grünen Hof hat der Jakob schon in der Hand gehabt, als wär' der Alte schon im Ausgedingstiibel gesessen, und dem Hof ist dabei ganz gut geworden, denn der Jakob hat das Anschaffen so ver ­ standen wie das Arbeiten. ,Es ist gerad', als ob unser Herrgott den einen doppelt beteilt und den an ­ der!: vergessen hätt'", sagte der Wend ­ lehner allemal, wenn er anf seinen zweiten Buben geschaut hat, was übri ­ gens nicht gar zu oft vorgekommen ist: denn derMatthiaswar ein schmächtiger Bursch, eher klein als groß und nicht gar zu gesund. Er hat keine Färb' im Gesicht und kein Leben iin Leib' gehabt. ! Seine Händ' waren fein wie die von einem Stadtherrn. Natürlich der Bauer hat ihn nie zn einer Arbeit zngelassen nnd derMatthias hat sich nicht gar zu sehr darum gerissen, weil er ganz gut geseh'n hat, daß er dein Bauer zuwider war. Und das war er wirklich, der Bauer machte kein Hehl daraus. So ungerecht es auch war, konnte es ihm der Bauer nie verzeih'», daß die Bäuerin durch ihn nms Leben gekom ­ men war: denn seit der Geburt des Matthias hat sie immerfort gekränkelt und gelitten, bis sic erlöst worden ist. Und auch derMatthias war ein kränk ­ liches Kind gewesen, das mehr Pflege, nnd Wartung gebraucht hat, als der ganze übrige Hof. So weit der Wend ­ lehner zurückdenken konnte, war der Bader nicht so oft im Hans gewesen, als in einer Wochen beiMatthias. Die anderen Kinder, die zu gleicher Zeit mit ihm im Torf auf die Welt gekom ­ men sind, sind draußen auf Feld und Wiesen herumgesprungen, wie der Matthias seine ersten Schritt' gelernt hat. Und auch später ist er niemals herumgesprungcn mit den anderen Kindern, sondern ist alleweil still seinen Weg gegangen, als ob für ihn keine Freud' und kein Leid auf der Welt wäre. Daß er spater in der Schnl' immer der Beste war nnd der Ordent ­ lichste, hat dem Wendlehner nicht gar Matthias studieren zu lassen. ,Ein rich ­ tiger Bauer wär' mir lieber gewesen!' sagte er, wenn der Schulmeister nicht genug erzählen konnt', wie dem Mat ­ thias jede Aufgabe Zn klein nnd zu leicht wäre und daß der Wendlehner nichts besseres tnn könnt', alH den zn große Freud' gemacht. ,Ein rich ­ tiger Bauer wär' mir lieber gewesen', brummte der Alte nnd ließ es ruhig sein, daß der Matthias Tag für Tag zum Pfarrer hinüberging, uni La ­ teinisch zu lernen: denn da der Bub' für den Hof einmal unnütz war, so war es dem Bauer auch ganz gleich, was aus dem einmal würd'. So ist ein Jahr nach dem anderen übers Dorf gegangen, eins wic's an ­ dere. Der Jakob ist aufgeschossen wie eine Tanne imWald und derMatthias ist ihm langsam nachgewachsen: der Jakob als die rechte Hand vom Wend ­ lehner, der Matthias in der Bücher ­

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