Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

Dabei gelang es ihm, Petka auf den Hals zu küssen. Die Wendin suchte sich ihm zu entwinden und von Eckel erfaßt, spie sie ihm ins Gesicht. „Hündin“, schrie der Chan und ver¬ setzte ihr einen heftigen Schlag, der sie, welche den Kopf zur Seite wandte, auf den Hals traf, und wieder erhob er die da hatte Petka im Faust zum Schlag — Ringen einen Arm frei bekommen und langte damit nach einem dolchartigen Messer, das ein Aware, der sich den Ringenden, jedenfalls in der Absicht, die widerspenstige Petka dadurch einzuschüch¬ tern, drohend gegen die Wendin schwang und mit einem so kräftigen Druck, wie man ihn einem Weibe sicher nicht zu¬ getraut hätte, entwand sie das Messer den Fingern des Awaren; im nächsten Augen¬ blick blitzte es hoch in ihrer Faust „Hund, awarischer Hund“, schrie Petka wie sinnlos vor Wut, „nimm das von deiner Sklavin! Und blitzschnell senkte sie den blanken Stahl in den unbeschützten Hals des Chans. Ein Blutstrom drang aus der schrecklichen Wunde und besudelte Petkas Gesicht, die Arme des Chans sanken schwer herab, ein tiefer Seufzer noch und der Chan sank lautlos zu Boden Alles war so blitzartig schnell vor sich gegangen, daß niemand von den entsetzten Zuschauern Zeit gefunden hatte, Petka an ihrer Selbsthilfe zu hindern, jetzt aber eilten einige Awaren herbei und beugten sich über ihren sterbenden Chan, während Frau Hildegard, die erst ängstlich den Ringenden ausgewichen war, jetzt zu der Wendin trat und ihr, der das Blut des Chans die Augen schloß, in echt weiblicher Vorsorge mit ihrem eigenen Halstuch das Gesicht reinigte, während der kleine Arnulf, an heftige Auftritte gewohnt, in kindlicher Unbefangenheit das blutige Messer vom Boden aufhob und es der Wendin, die wieder sehen konnte, hinreichend sagte: „Da, Frau, da ist dein Messer! Die Wendin griff rasch nach der Waffe, die den Frauen jetzt so notwendig war und raunte der Frau Hildegard halblaut zu: 107 „Suche dir auch eine Waffe, Frankin aber rasch, wir werden sie notwendig haben gegen diese Hunde!“ Frau Adelheid sah auch schon suchend nach einer Waffe herum und fand neben sich am Boden eine Streitaxt, die einer der Awaren, die sich jetzt mit ihrem toten Chan beschäftigten, weggeworfen haben mochte. Aber die Awaren dachten jetzt nicht an die beiden Frauen, die ihnen ja auch sicher genug zur Rache waren, denn wilde Rufe erschollen von allen Seiten um das Lager her, Waffengeklirr ertönte und wild fluchend ließen die wenigen Awaren, welche bei ihrem toten Chan noch weilten, dessen Leiche liegen, wo sie hingesunken war, sprangen aus und rannten, eine nahende Gefahr erken¬ nend, an den aufhorchenden Frauen vor¬ bei im hastigen Laufe in der Richtung gegen die Enns hinab. VI. Daß die Awaren den Tod ihres Chans nicht sofort an den beiden gefangenen Frauen rächten, sondern in überstürzter Hast von dessen Leiche wegeilten, hatte seinen Grund darin, daß sie aus den Rufen und dem Lärm, welcher erscholl, als tüchtige Krieger sogleich erkannten welch' große Gefahr ihnen drohte und daß es sich um einen feindlichen Ueber¬ fall auf ihr Lager handelte. Was Bruder Samo in der Nacht vorher geplant und mit seinen Verbün¬ deten verabredet hatte, war durchgeführt worden. Glückliche Umstände waren seinem Vorhaben zu Hilfe gekommen, seine eigenen Leute und die Wenden aus der ganzen Gegend hatten sich rasch sammeln können und waren, als Samo am rechten Enns¬ ufer eine dürre Weide in Brand setzte, über die ausnahmsweise sehr seichte Enns geeilt und folgten begeistert dem Kauf¬ herrn aus Franken, der sich nun als ebenso guter Führer im Anordnen, wie als tapferer Streiter im Kampfe erwies, und ehe die Awaren rechte Gegenma߬ regeln treffen konnten, waren sie voll¬ ständig umzingelt und die Schwerter und Streitkolben der Franken und Wenden

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