Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

106 Teilnahme der Frauen und Mädchen an allem, was außer dem Hause vorging, und die so wurde Petka gar bald nicht nur Teilnehmerin an allen Unternehmungen ihres Stammes gegen die Awaren, son¬ dern deren Leiterin, und ihre Beredsamkeit und ihr Wille, ihre Ansicht und ihr Ent¬ schluß waren häufig für die Männer maßgebend Diese große Achtung und der große Einfluß, deren Petka sich unter den Wenden weit in die Steiermark hinab erfreute, hatte bald einer erkannt, welcher die Awaren ebenso gründlich haßte und der ebenso sehnlichst wünschte, deren schwer drückendes Joch zu brechen, wie Petka, und dieser Mann war „Bruder Samo“, der weise mächtige Handelsherr aus dem Frankenreiche. Die halbsklavische Wendin und der freie Franke verstanden sich gar bald und einigten sich in dem Gedanken die awarische Herrschaft müsse, so oder so, gebrochen werden. So wurde Petka die treue Bundes¬ genossin des Franken, seine Platzhalterin, war er nicht hier im Lande, seine Kund¬ schafterin und Werberin unter den Wen¬ den zum Kampfe gegen die Awaren und der beiden tadelloses Benehmen gegen einander im sonstigen Verkehr, erwarb ihnen das Vertrauen der Wenden. Ihr, seiner Mitwisserin und Mit¬ streiterin, hatte Samo in der verflossenen Nacht durch Gisebrecht die Absicht, sagen zu lassen: „Es gilt!“ —ein Kampfruf der Petka nicht mehr erreichte, da auch sie am verwichenen Tage von den Awaren gefangen worden war und jetzt, gleich der Frankin, die Beute des Awaren=Chans Baian zu werden drohte, denn gar zu wohlgefällig und nur zu deutlich erklangen jetzt an die beiden Frauen die Worte, welche der Chan süßlich und doch be¬ fehlend sprach: „Ihr habt mich doch verstanden, meine Täubchen, von jetzt ab seid ihr meine Frauen, gleich in meinem Herzen und gleich im Gezelte! Den Buben laß ich dir, Frankin, er soll dereinst ein guter awarischer Krieger werden! „Nimmermehr“, entfuhr es den Lippen der entsetzten Frau Hildegard, die awarisch sehr gut sprach, „ich bin eine Christin und habe einen Mann und du hast kein Recht, eine freie Frankin zu deiner Sklavin und deren Kind zu einem Awaren zu machen — Gott bewahre uns davor Und wie abwehrend streckte sie die rechte Hand vor und drückte mit der linken den Sohn fest an sich. Der Chan blickte sie höhnisch an und meinte ruhig und kalt: „Ich kenne deinen Gott nicht und ein Chan der Awaren hat nach ihm auch nicht zu fragen, auch nicht nach dem Rechte einer Frankin! Du bist von jetzt ab mein — von Eigentum und auch du, Wendin einer Wendin ist das ja selbstverständlich nicht? Sein Blick richtete sich so höhnisch, so verächtlich und so erniedrigend auf Petka daß ihr das Blut ins Gesicht flutete vor Scham und Entrüstung. Sie richtete sich hoch auf und den Awaren mit ihren dunklen Augen anblitzend, sagte sie mit vor Zorn leicht bebender Stimme: „Das war selbstverständlich, daß eine Wendin das Eigentum eines Awaren 0 bildete, aber die Zeiten sind vorbei, Chan! Die Frankin da hat recht, wir beide sind frei und werden dir nicht folgen, nein, gewiß nicht! Der Chan blickte die Wendin erst er¬ staunt an ob dieser ihm ganz ungewohnten Sprache, dann schwoll die Zornesader auf seiner niederen Stirne gar mächtig an und er schrie mehr als er sprach, zu Petka gewendet hin: „Weib, Sklavin, du wirst folgen, oder ich lasse dich pfählen, hörst du? Du sollst gleich sehen, daß ich dein Herr bin! Bei diesen Worten erhob sich der Chan, schritt behend auf Petka zu, streckte die Arme nach ihr aus, umarmte sie und wollte sie küssen. Ein Faustschlag Petkas traf ihn ins Gesicht und Blut entströmte aus der Nase des Chans und tropfte lang¬ sam auf sein seidenes Oberkleid, doch ließ er Petka nicht los, sondern suchte sie desto stürmischer an sich zu ziehen, wobei er keuchend hervormurmelte: „Das Täubchen zeigt die Krallen, warte, die stutz' ich dir!“

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