Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

such' sogleich auf, so du zu den Wenden kommst, zeig' ihr meine Waffen, grüße sie von mir und sag' ihr, ich ließe sie bitten: es gilt! Hast du mich ver¬ standen, Mann, wie ich aus Franken? Ja? Nun denn, Gott befohlen!“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, stieg Samo in die Wasser der Steyr hinein V. Die heiße Sonne des auf die Schreckens¬ nacht am Kastellberge im alten Gesodu¬ num folgenden Tages beschien glühend heiß das Lager der Awaren, das Baian Chan außerhalb des heutigen Pyrach in einer breiten Mulde zwischen dem jetzt „ Teufelsbach genannten Wasserchen und der Enns mit seiner Horde zur Rast und Beuteverteilung bezogen hatte. Lager ist eigentlich nicht die richtige Bezeichnung, es war mehr ein Rastplatz, auf welchem abgekocht und abgefüttert wurde, ohne Zelte, ohne Lagerhütten, jede Unterabteilung jedoch streng für sich ge¬ sondert im Raume. In der Mitte dieses Rastplatzes war die in den Tagen und Nächten vorher gemachte Beute kunterbunt hingeworfen: Kleider, Waffen, Ackergeräte, von welchen die Holzteile eben entfernt wurden, Lebensmittel und Pferdegeschirre, gruppiert um einige Wagen, an welche die als Beute erworbenen Pferde ange¬ koppelt waren Auf einem Reitsattel, der am Erd¬ boden lag, saß der Chan, ein grimmig und tückisch aussehender älterer Mann reich in Seide gekleidet, am edelstein¬ besetzten Wehrgehänge, das fränkischen Ursprung verriet, ein krummes Schwert, auf dessen reich verziertem Griff seine braune, starkknochige Hand fast zärtlich ruhte. Chan Baians stechendes graues Auge ruhte mit lüsternem Wohlgefallen auf zwei vor ihm stehenden Frauen, beide schön, jung und kräftig, aber grundver¬ chieden in Abstammung, Benehmen und Kleidung. Die rechts stehende Frau war die „schöne Hildegard“, die „Frankin aus dem Kastell, die hier so ruhig, fast trotzig den Chan ansah, als fürchte sie 105 nichts von dessen Wildheit und Hinterlist. Keine Miene verzog sich in ihrem schönen Gesichte, nur die Hand, die ihren Knaben an sich preßte, als wollte sie ihn schirmen vor den rauhen Männern, die einen Kreis herum gebildet hatten, als fürchteten sie, die Frauen könnten entfliehen, zitterte oft wie krampfhaft und kündete die tiefe innere Erregung an, die Frau Hildegard äußerlich so trefflich bemeisterte Das Weib zu ihrer Linken war un¬ zweifelhaft eine Slawin, ungefähr im gleichen Alter wie Frau Hildegard, etwas kleiner und derber im Bau und in den Formen, doch dabei von seltener Wohl¬ gestalt, biegsam und beweglich und von echt slawischer Schönheit. In der sehr einfachen Kleidung, in der die rote Farbe vorherrschte, konnte sie für eine Magd gelten, die feinen Hände aber bewiesen daß dieses Weib weder häusliche noch sonstige schwere Arbeit tat, wie sie sonst die Frauen und Töchter der Wenden zu leisten hatten, und in ihrer aufrechten Haltung, dem stolzen Wiegen des Kopfes und der hochfahrenden Art, wie sie den grimmen Awaren=Chan betrachtete und wie ihre dunklen Augen ihn anblitzten, lag eine natürliche Anmut und Hoheit, welche besagten, daß dieses Weib nicht zur Sklavin geboren war. Und Petka, so hieß dieses eigen¬ artige Weib, war auch keine Sklavin, sondern eine „freie“ Wendin, die Schwester der „freien“ Toduchaer Wendenhäuptlinge Zwentibold und Ratibor, gewohnt, den Frauen ihres Stammes zu befehlen und auch den Männern, denn Petka überragte die Männer ihres Stammes weit an Geist, Mut, kühner Entschlossenheit und übertraf alle im Hasse gegen ihre awarischen Be¬ drücker und im Drange nach Freiheit und Unabhängigkeit vom Joche der mongoli¬ schen Horden. Als echte Slawin immer geneigt zu Anzettelungen aller Art, genügten ihr die häuslichen Ereignisse nicht und sie drängte es förmlich hinein in das öffentliche Leben ihres Volkes, und ihre Klugheit und ihr Geschick in Rat und Tat brachen bald die Vorurteile der Männer gegen die

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