Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

100 heimleuchten, Toducha darf nicht fallen und die Burg dort auch nicht, es ist hoch an der Zeit, daß wir endlich wie Männer — handeln oder wollt ihr auch ferners die Sklaven der Awaren sein?“ Die beiden Wenden reckten bei diesen Worten plötzlich ihre krummen Rücken, ihre Augen blitzten in Haß und Zorn und Zwentibold rief, drohend die Faust gegen Toducha und die Burg hinfuchtelnd, hastig aus: „Nimmermehr! Es sei von jetzt ab, wie du uns immer hast gesagt: Frei ist der Wende und der Aware nicht sein Herr! Czernibog!) über die Awaren! Bruder Samo, führe uns! Dein Verstand, dein sicherer Arm sei mit uns! Vernichte die Awaren und du bist unser Herr!“ Samo hatte bei diesen Worten den —dessen Wenden überrascht angesehen mutiges Selbstbewußtsein schien ihm sehr zu gefallen, auch mochte es zu seinen Plänen passen, die er längst in seinem Sein Innern wohlverschlossen hegte. Antlitz dunkelte eine Blutwelle in satte Farbentöne, wie Freude huschte es über eine Mienen und es schien, als wollte er in seiner Bewegung die Hand des Wenden ergreifen und schütteln. Aber rasch bezwang Samo seine Erregung, seine Miene wurde wieder kalt und un¬ durchdringlich und er war wieder voll¬ kommen ruhig, als er jetzt sagte: „Der wird euer Herr sein, der euch vom Joche der Awaren befreit haben wird, ein Herr über freie Männer! Bin ich's, folgt ihr mir — ist's ein anderer, folgt ihr ihm! Ich führe euch, Zwenti¬ bold, hier soll kein Aware weiters mehr befehlen und anderwärts? Je nun beachte, daß alle deine Brüder deines Sinnes sind und dir gleichen, Freund Zwentibold, und der Aware hat geherrscht! So soll es sein, he?“ Und Samo streckte dem Wenden die Rechte hin, in welche Zwentibold rasch einschlug. „Haue durch, Ratibor“, wandte sich Samo zu dem jüngeren Wenden, der 1) „Der böse Geist“, der „Schwarze“. Die Wenden waren damals noch Heiden. bescheiden, aber aufmerksam zugehört hatte, und der flachte seine rechte Hand, streckte den Arm aus und hieb die verschlungenen Finger des Franken und des Wenden, wie ihm geheißen, „durch“. „Dein Wort — unser Wort“, sagte er dabei mit vor Erregung leicht zittern¬ der Stimme. „Ei, doch, so soll es sein“, lachte Samo rauh auf, „du sprichst vom Wort, bist also doch endlich auch ein Mann geworden und Männer brauche ich, keine Sklaven! Doch davon später! Brüder, ich bin hungrig, doppelt hungrig, einmal nach der Awaren Köpfe und anders auf was zum beißen für meinen Magen Erst dem Herrn in uns gedient, dem Magen, dann die Awaren zertreten! Pack aus, Zwentibold, würde mich sehr wundern, o du nichts zu beißen hättest für mich, ein so wackerer Jäger, wie du!“ Die eben noch so ernsten Wenden be¬ gannen nun wohlgefällig zu lachen und kramten in einem Packe eilfertig herum, brachten kalten Braten und schwarzes Brot daraus hervor, schoben beides zu Samo hin und Zwentibold sagte höflich und mit vielsagendem Blicke: „Iß, Bruder Samo, und stärke dich! Stark war der Hirsch, aber stärker als er waren Zwentibold und sein Bruder Ratibor. Stark ist auch der Aware, aber stärker als die Hunde werden Samo und seine Brüder, die Wenden, sein! Belibog lasse es dir munden!“ Und alle drei schnitten wacker die Hirschkeule an und teilten Brot und Salz am Beginne der Mahlzeit miteinander. II. Am selben Abend, an welchem Samo die ihn so hoch verehrenden Wenden traf, ging es drüben im „Kastell“ am Zu¬ ammenflusse der Enns und Steyr?) recht lebhaft, aber doch sehr ruhig zu. Das ehemalige römische Castrum*) Gesodunum war zu einem großen Wirtschaftsanwesen herabgesunken, zu Baulichkeiten der ver¬ 1) Brot und Salz reichen die Slawen heute noch dem Gaste zur Begrüßung. Da, wo heute das Schloß in Steyr sich befindet. 3) Befestigtes Standlager.

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