Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

98 aus dem Winkel des Zusammenflusses dieser beiden Wasser erhebt, das einstige römische Castrum und die Quadern des riesigen Turmes trotzten bis jetzt der Zeit, der Witterung, den Hunnen und den Awaren und das Castrum, von bayerischen und fränkischen Ansiedlern wiederholt auf¬ und umgebaut, schirmte noch immer, wie dereinst unter des Römers glanzvoller Herrschaft, die alte Heerstraße in die Steiermark hinein. Dieser Kampf der Slawen und Awaren wogte lange unentschieden, denn bis jetzt waren es meist kleinere Kämpfe. Stamm gegen Stamm, die seßhafte Bevölkerung eines Gaues, eines Ortes bekämpfte ihre Bedrücker mit der Kraft, der Schlauheit und jener Roheit, welche die Awaren ihren Sklaven gezeigt hatten, und die Barbaren, Awaren genannt, vernichteten, wo sie konnten, die nach Freiheit dürstenden Halb¬ barbaren, die Slawen, welchen bayerische und fränkische Ansiedler wacker zur Seite standen im Kampfe für die Freiheit des heutigen Oesterreichs, und noch war dieser mörderische Kampf unentschieden, als die Awaren im Jahre 623 sich anschickten, die Burg am Zusammenflusse der Enns und Steyr, die meist von Bayern und Franken bewohnt war, und das von Wen¬ den bewohnte Toducha?) zu vernichten. Sie standen tapfer Schulter an Schulter, Deutsche und Slawen, im Kampfe gegen den gemeinsamen Erbfeind und harrten der Hilfe, die aus Deutsch¬ land kommen sollte, wenn auch nicht durch Heerscharen, und so wurde es Mitte Juli im Jahre 623 n. Chr. Die Sonne des heißen Julitages war eben untergesunken und drinnen im Enns¬ tal begann es schon zu dämmern und auch auf die Ebene, hinab zur Enns¬ nündung, blitzte nur mehr hie und da ein Lichtchen aus einer hellen Wolke auf diegrünen Wasser der Enns Diese aufwärts, am bewaldeten Hang am rechten Ufer entlang, schritt gegen 1) Die Römerstraße (Heidenstraße jetzt genannt) führte über Steyr nach Norikum also in die Steiermark hinein. Sie ist noch zu sehen bei Ybbs Mauer und geht über Haag nach Steyr. Derzeit finden Grabungen nach derselben statt und ergeben schöne Resultate. 2) Heute Dietach. den Zusammenfluß der Enns und Steyr tark, zu ein Mann in den besten Jahren, hoch gewachsen, die entschlossenen Züge wettergebräunt und schon leise durchfurcht vom Schicksal und der rasch enteilenden Zeit. Sein etwas schon grauer Bart umspielte im leisen Abendlüftchen das den nicht unschöne Antlitz, das sogleich Deutschen verriet, wie auch einzelne Teile einer stark abgetragenen Kleidung be¬ zu¬ wiesen, daß er ein solcher war, nicht letzt der Lederhut, der wie eine Sturm¬ haube sein Haupt deckte, und dann die echt deutschen, litzengeschmückten Aermel seines Wamses. Dagegen zeigten seine Stiefel die slawische Mache: hochschäftig und derb aus Pferdeleder gemacht. Er war mit Bogen und Pfeil be¬ waffnet, der Bogen von feiner wendischer Schnitzerei, am oberen Ende mit einem greulichen Kopfbilde versehen, das wohl den slawischen Gott „Belibog, den guten Geist, darstellte und als Schutz und glück¬ bringendes Abzeichen zu betrachten war. Sein kurzes Schwert dagegen war echt deutsche Arbeit, der Kenner würde es als fränkisch bezeichnet haben. Zu dieser seltsamen Mischung in Kleidung und Waffen trug der Mann, umgehängt zur linken Hüfte, eine Tasche, groß, breit, tief, wohl zu gebrauchen zur Jagd, aber doch keine Jagdtasche, sondern o anzusehen wie die, welche die fahrenden deutschen Kaufleute gerne trugen, kamen ie mit wohlbepackten Tieren zum Handel aus dem Deutschen (eigentlich Franken=) Reich herein und wanderten sie hinab zu Wenden und Slowenen ins alte Norikum. Und Samo, so hieß der einsame Wanderer, war in der Tat ein reicher Kaufmann aus Franken, wohlbekannt unter den hier herum und auch unter den steiermärkischen Slawen, reich, un¬ abhängig, von guter Bildung, lebhaften Geistes und trotzigen Sinnes. In der alten Burg zu Gesodunum!) hießen ihn die dort wohnenden Deutschen, seiner nie seßhaften Lebensweise und seiner vielen Kämpfe mit räuberischen Awaren 1) Gleich: Gassental; diesen Namen trug das römische Kastell am Zusammenfluß der Enns und Steyr.

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