Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

86 mann im 59. Lebensjahre. Am 2. Mai 1848 in Wien geboren, aus gutsituierter Wiener Fa¬ milie stammend, war er an der Wiener Akade¬ mie der bildenden Künste Schüler Friedrich Schmidts, der ihn 1873 als Leiter der Bauhütte von St. Stephan bestellte. Nach Schmidts Tode ward Hermann der Nachfolger seines Lehrers und Meisters als Dombaumeister von Sankt Stephan. — Am 21. April 1908 starb in Wien Hofrat Professor Schrötter Ritter v. Kri¬ stelli, der Vorstand der III. medizinischen Universitätsklinik. Am 5. Februar 1837 in Graz geboren, war er ein ausgezeichneter Gelehrter, ein Laryngologe von Rang und Ruf und ein hervorragender Lehrer. Schrötter war der eigent¬ liche Begründer der Laryngologie, der erste, der eine laryngologische Klinik führte, nicht nur in Wien und Oesterreich, sondern in ganz Europa. Er leitete die Klinik für Laryngologie bis 1890, in welchem Jahre er die III. interne Klinik übernahm. *: 2: * Das innere politische Leben Ungarns — an dessen Spitze noch immer das Kabinett Wekerle=Kossuth steht — in der Be¬ richtsperiode war eigentlich nichts als ein ewiger erbitterter Kampf zwischen den die absoluteste Hegemonie in den sogenannten Ländern der un¬ garischen Krone anstrebenden Magyaren und den um die ihnen im kroatisch=ungarischen staats¬ rechtlichen Ausgleiche zugesprochenen autonomisti¬ schen und sonstigen Rechte kämpfenden Kroaten. Um die Opposition, Obstruktion und nationale Widerstandskraft der Kroaten zu brechen, war den Magyaren jedes Mittel willkommen. Durch¬ peitschung von großen Gesetzeswerken — wie die Ausgleichsgesetze — im Weg eines einparagraphi¬ gen sogenannten Ermächtigungsgesetzes, Aende¬ rung der Geschäftsordnung, Knebelung der Rede¬ freiheit usw. usw. im Abgeordnetenhause, alles mußte helfen — aber die Widerstandskraft der Kroaten ist noch immer ungebrochen. Der als Nachfolger des zurückgetretenen Grafen Theodor Pejacsevics neuernannte Banus von Kroatien Dr. Alexander Rakodczay mußte angesichts der Haltung des kroatischen Volkes und seines Landtages, dessen Auflösung am 12. Dezember 1907 erfolgte, zurücktreten, um einem Baron Paul Rauch Platz zu machen. Obwohl die am 16. Februar 1908 für den 27./28. dieses Monats ausgeschriebenen Land¬ tagswahlen eine vernichtende Niederlage der un¬ garischen Regierung brachten, blieb doch der Abgesandte dieser Regierung, welche sich ja so gern als unbeugsamen Hort des konstitutionellen Prinzips angesehen wissen will, blieb Baron Rauch Banus von Kroatien und versuchte es nun mit allen Mitteln, den Willen der magyarischen Machthaber durchzusetzen. Er trotzte dem über ihn verhängten teilweisen gesellschaftlichen Boykott, er löste Munizipalvertretungen auf, er disziplinierte Beamte und Professoren —die neugewählten und am 12. März 1908 zur Land¬ tagseröffnung zusammengetretenen Landesboten chickte er aber schon am 14. März 1908 im Wege der Vertagung des Landtages nach Hause. So herrscht denn am Ende unserer Berichts¬ periode derselbe Kampf zwischen Kroaten und Magyaren, wie am Ende der verflossenen Be¬ richtsperiode. Der Wahlspruch der Kroaten bleibt nach wie vor: „Los von Ungarn!“ Am 29. September 1907 ward in Szegedin eine Marmorstatue der Kaiserin Elisabeth enthüllt — ein Werk des Bildhauers Nikolaus Ligeti. Am 3. Mai 1908 starb in Budapest General Stephan Türr. Er war im Jahre 1824 in Baja geboren und spielte im Jahre 1849 als Parteigänger der ungarischen Revolution und dann 1859 und 1860 als Mitkämpfer Garibaldis eine Rolle. Mit Türrs Tode hat ein seltsamer, abenteuerlicher Lebenslauf sein Ende erreicht. Deutschland. Am 9. November 1907 wurde die Kron¬ prinzessin Cäcilie von Preußen und des Deutschen Reiches in Potsdam eines Prinzen entbunden, welcher in der Taufe die Namen Louis, Ferdinand, Viktor, Eduard, Albert, Michael, Hubertus erhielt. Es ist dies der zweite Sohn des deutschen Kronprinzen. — Am 18. Jänner 1908 wurde die Gattin des regieren¬ den Herzogs von Sachsen=Coburg und Gotha, Herzogin Viktoria Adelheid, auf Schloß Frieden¬ stein von einer Prinzessin entbunden. — Am 28. September 1907 starb in Mainau Gro߬ herzog Friedrich von Baden, einer von den Baumeistern des Deutschen Reiches der „letzte Paladin“. Er war am 9. September 1826 geboren und übernahm am 24. April 1852, nach dem Tode seines Vaters Leopold, für den

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