Es war dies ein gutes und wohlberechtigtes Zeugnis, das da der Leiter der inneren Ge¬ schicke Oesterreichs dem jungen Volkshaus aus¬ stellte. In seiner Sitzung vom 23. Juli 1907 nahm das Abgeordnetenhaus die definitive Wahl seines Präsidiums vor; es bestätigte dabei das am 25. Juni 1907 provisorisch gewählte Präsidium Dr. Weiskirchner Präsident, Doktor Zacek erster und Dr. R. v. Starzynski zweiter Vizepräsident — in seinem Amte. Am 21. Oktober 1907 erfolgte die kaiserliche Sanktion der vom niederösterreichischen Landtage beschlossenen Entwürfe eines Gesetzes, mit welchem mehrere Bestimmungen der Landes¬ ordnung für das Erzherzogtum unter der Enns vom 26. Februar 1861 geändert werden und womit eine neue Landtagswahlordnung für dieses Kronland erlassen wird, sowie eines Gesetzes, womit für die in Gemäßheit der §§ 3 und 7 der Landtagswahlordnung vorzunehmenden Wahlen in den Landtag des genannten Kronlandes die Wahlpflicht eingeführt wird. In einer Reihe von Vorträgen, welche der Professor des Kirchenrechtes an der Innsbrucker Universität, Dr. Ludwig Wahrmund, in Innsbruck und Salzburg gehalten und welche er dann auch in Gestalt einer Broschüre weiteren Kreisen zugänglich gemacht, glaubten die Kleri¬ kalen eine Verletzung. der religiösen Gefühle der Katholiken erblicken zu müssen und sie eröffneten deshalb eine heftige Agitation gegen den ge¬ nannten Gelehrten, welche eine lebhafte Gegen¬ bewegung der freiheitlichen Kreise hervorrief, die in politischer Beziehung ihren Höhepunkt er¬ reichte, als bekannt wurde, daß der Wiener apostolische Nuntius Fürst Granito di Belmonte bei einem Besuche, welchen er dem Minister des Aeußern, Freiherrn v. Aehren¬ thal abstattete, die Sprache auch auf Professor Dr. Wahrmund brachte, indem er bemerkte, daß derselbe kürzlich in Innsbruck und Salzburg Vorträge atheistischen Charakters gehalten habe und auch Broschüren verbreite, welche im gleichen, der katholischen Kirche feindlich gesinnten Geiste gehalten seien. Man erblickte in dieser Aeußerung des Nuntius eine unbefugte Einmischung in interne österreichische Angelegenheiten, die zurück¬ gewiesen werden müsse. Die „Wahrmund=Affäre“ führte in ihrem weiteren Verlaufe zu klerikalen Demonstrationen und ernsten Studentenkonflikten 79 an der Innsbrucker Universität, zur Sistierung der Vorlesungen des Prof. Wahrmund über Kirchenrecht und der Seminarübungen desselben an der Innsbrucker Universität, zur Schließung dieser Universität, zu einem allgemeinen Streik der freiheitlichen — nicht nur deutschen — Stu¬ dentenschaft an den Hochschulen Oesterreichs, zu stürmischen Demonstrationen, zur zeitweiligen Sistierung der Vorlesungen an diesen Hochschulen, bis endlich auf Grund einer Konferenz, welche die Rektoren der Universitäten mit dem Unter¬ richtsministerium zu Wien abhielten, und worin jene bindende Erklärungen über Wahrung der Lehrfreiheit an den Hochschulen und über Schutz der freien Wissenschaft erhielten, und nachdem die Berufung Prof. Wahrmunds als Lehrer des Kirchenrechtes an der Prager Universität von diesem angenommen war, wieder Beruhigung ein¬ trat, der allgemeine Hochschulstreik beendet wurde und die Vorlesungen an den Hochschulen wieder aufgenommen werden konnten. Am 12. April 1908 wurde der Statthalter von Galizien, der Pole Graf Andreas Potocki, in seinem Audienzsaale von einem ruthenischen Studenten namens Miroslaw Siczynski aus politischen Gründen unter dem Rufe: „Dies für das, den Ruthenen bei den letzten Landtagswahlen zugefügte Unrecht!“ erschossen. Der Täter wurde dann von einem polnischen Schwurgerichtshof in Lemberg zum Tode verurteilt. Mitte August 1907 wurde in Mariazell das des Jubiläum des 750jährigen Bestandes Gnadenortes unter Intervention des Erzherzogs Leopold Salvator als Vertreter des Kaisers fest¬ lich begangen. Am 21. Juni 1908 brannte die durch Kaiser Maximilians Erlebnis auf der Martinswand bekannte Ortschaft Zirl in Tirol nieder. 200 Häuser wurden ein Raub der Flammen, 1300 Personen obdachlos. Auch mehrere Men¬ schenleben fielen dem wütenden Elemente zum Opfer. Als Ursache des Brandes werden spielende Kinder bezeichnet. Auf dem Gebiete des Kunstlebens herrschte auch in der diesmaligen Berichtsperiode lebhafte Be¬ wegung. Für die musikalische Welt waren zwei Ereignisse von besonderer Bedeutung: die Er¬ nennung Felix Paul Weingartners Edlen v. Münzberg zum Direktor des Wiener Hof¬ operntheaters als Nachfolger Gustav Mahlers
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