Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

78 Friedrich Pacak. Im weiteren Verlaufe der sich bald auch auf andere Mitglieder des Kabinetts erstreckenden Ministerkrise gaben noch der deutsche Landsmannminister Dr. Heinrich Prade und der Ackerbauminister Leopold Graf Auers¬ perg ihre Demission, denen später als De¬ missionär auch der polnische Landsmannminister Graf Adalbert Dzieduszycki folgte. An die Stelle der zurückgetretenen Minister traten Franz Peschka als deutscher Landsmann¬ minister, Dr. Alfred Ebenhoch als Acker¬ bauminister, Dr. Albert Geßmann als Minister ohne Portefeuille und Aspirant auf das zu errichtende Ministerium für öffentliche Arbeiten, Dr. Franz Fiedler als Handels¬ minister, Karl Prasek als tschechischer Lands¬ mannminister und David Ritter v. Abraha¬ mowicz als polnischer Landsmannminister. Mit dem Eintritte des Abgeordneten Peschka ins Kabinett hatte die deutsche Agrarierpartei, mit jenem der Abgeordneten Dr. Ebenhoch und Dr. Geßmann die christlichsoziale Partei ihre Vertretung im Kabinett Beck gefunden — durch die Gesamtrekonstruktion des Kabinetts, das nun¬ mehr aus einem Wahlreformkabinett ein Aus¬ gleichskabinett geworden war, wurde aber der ruhige Gang der parlamentarischen Maschine und die Mehrheit des Abgeordnetenhauses für das Ausgleichswerk mit Ungarn gesichert. An Stelle des erkrankten und für längere Zeit beurlaubten Landesverteidigungsministers F3M. Julius Latscher v. Lauendorf wurde weiters FML. Friedrich v. Georgi, Sektionschef im letztgenannten Ministerium, zunächst zum Leiter dieses Ressorts für die Dauer der Abwesenheit des Ministers bestimmt, um dann, nach dem Rücktritt Latschers, selbst zum Landesverteidi¬ gungsminister ernannt zu werden. Am 22. März 1908 veröffentlichte die „Wiener Zeitung““ ein kaiserliches Handschreiben an den Ministerpräsidenten Freiherrn v. Beck, womit die Errichtung eines Ministeriums für öffentliche Arbeiten genehmigt und Dr. Geßmann zum Minister für öffentliche Arbeiten ernannt wurde. Der Wirkungskreis des neuen Ministeriums soll im Wesen umfassen administrative und technische Bauangelegenheiten, Bergwesen, Gewerbeför¬ derung. Eine weitere Veränderung oder besser Zurück¬ konstruktion erfuhr das Kabinett Beck durch den am 1. Mai 1908 erfolgten plötzlichen Tod des 52 Jahre alten deutschen Landsmannministers Franz Peschka. An seine Stelle wurde der frühere deutsche Landsmannminister Dr. Heinrich Prade wieder in gleicher Stellung ins Kabinett berufen. Das neue Volkshaus, welches in seinen ersten Tagen noch schwer unter Kinderkrankheiten zu leiden und wohl auch später noch so manchen Rückfall aufzuweisen hatte, arbeitete doch im all¬ gemeinen — wenigstens vom Standpunkt einer Regierung, welche die sogenannten Staatsnot¬ wendigkeiten gern unter Dach und Fach haben möchte — gut. Es erledigte diese Staatsnot¬ wendigkeiten — so den Ausgleich mit Ungarn, so auch das Budget— ziemlich glatt und der — jedenfalls ein sehr ge¬ Ministerpräsident schickter Parlamentsdiplomat — konnte mit Recht und selbstverständlicher Genugtuung in seiner Budgetrede im Herrenhaus am 27. Juni 1908 die Bemerkung machen: „Zwölf Jahre lang haben Sie, meine Herren, Jahr für Jahr des Augenblickes geharrt, wo Sie bei der Prüfung des Staatsvoranschlages Ihr Votum würden ab¬ geben können über die Bedürfnisse des Staates und ihre Befriedigung, über die Führung der Staatsgeschäfte und die zahllosen Fragen der öffentlichen Verwaltung. Und in diesen zwölf Jahren war es diesem hohen Hause ein einziges Mal gegönnt, in die Beratung des Budgets einzutreten. Das hat sich denn doch sehr zum Bessern gewendet. Das neue Abgeordnetenhaus hat, obwohl es zu etwa vier Fünfteln aus neuen Männern besteht, in seinem ersten Jahre das Budget im Ausschuß mit vollster, fast möchte ich sagen, nicht zu überbietender Gründlichkeit, im Plenum nach einer, im Einverständnisse Aller, reiwillig geschaffenen Ordnung zu Ende beraten und dies mitten unter heftigen nationalen Kämpfen und nach einem nicht minder heftigen Zusammenstoße der Weltanschauungen. Das ist eine Tatsache, die uns mit Genugtuung erfüllen darf, und es bietet einen starken Reiz, der Ur¬ sache dieser Wendung nachzugehen. Sie besteht meines Erachtens darin, daß zwar bei allen Par¬ teien der Wille zur parteipolitischen und natio¬ nalen Selbstbehauptung fortlebt, daß er aber in jedem Augenblicke gemildert wurde von dem Willen aller zur gemeinsamen Arbeit und zur Behauptung des staatlichen Ganzen. Der Staats¬ sinn ist zum Durchbruch gekommen und hat, wo es sein mußte, den Fraktionssinn überwunden.“

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