Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

wirklich entzückte Zuschauer dem prunkvollen Schauspiele folgten, das sich vor ihren Augen unter prächtigem Sonnenglanz entwickelte, während der Kaiser, umgeben von allen in Wien anwesenden Erzherzogen und Erzherzoginnen so¬ wie den Hofwürdenträgern, aus dem vor dem äußeren Burgtor errichteten Kaiserzelte die ihm zugedachte imposante Huldigung entgegennahm. Der Festzug bestand im wesentlichen aus zwei Teilen: dem historischen und dem Nationalitäten¬ Zuge. Der historische Teil des Festzuges stand wohl an malerischer und koloristischer Wir¬ kung und Pracht dem aus Anlaß der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares im Jahre 1879 in Wien veranstalteten sogenannten „Makart“=Fest¬ zuge nach, aber er bot doch gewiß eine Fülle be¬ deutsamer Momente und war schon als ein der lebender Beitrag zur Kostümgeschichte österreichischen Heerscharen von Rudolf von Habs¬ burg bis auf Marschall Radetzky herab von hohem Interesse. Der historische Teil des Festzuges bestand aus 19 Gruppen, u. zw.: Gruppe I: König Rudolf von Habsburg mit dem deutschen Heer¬ bann. Festlicher Einzug. Ende des XIII. Jahr¬ hunderts. Gruppe II: Zeit des Königs Albrecht I. Auszug von Wiener Bürgern zur Belagerung einer Raubritterburg. Gruppe III: Rudolf IV. der Stifter. Mitte des XIV. Jahr¬ hunderts. Gruppe IV: Zeit Kaiser Fried¬ richs III. Aufzug zum Turnier. Mitte des XV. Jahrhunderts. Gruppe V: Doppelhoch¬ zeit der Enkel Kaiser Maximilians I. in Wien. Anfang des XVI. Jahrhunderts. Gruppe VI: Karl V. Erste Belagerung Wiens durch die Türken, 1529. Gruppe VII: Heereszug Ende des XVI. Jahrhunderts. Gruppe VIII: Der dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648). Gruppe IX: Die zweite Belagerung Wiens durch die Türken 1683. Gruppe X: Zeit Karls VI. Prinz Eugen und seine Truppen. Anfang des XVIII. Jahrhunderts. Gruppe XI: Zeit der Kaiserin Maria Theresia. Gruppe XII: Feldherren und Truppen aus der Zeit des siebenjährigen Krieges. Gruppe Fest. XIII: Zeit Kaiser Josefs II. Ländliches Zeit Ernte und Weinlese. Gruppe XIV des Kaisers Franz I. Krieg gegen die französische Karl. Republik. Gruppe XV: Erzherzog 1809. Gruppe XVI: Der Tiroler Landsturm Gruppe XVII: Praterkorso aus der Zeit 71 des Wiener Kongresses. Gruppe XVIII: Straßenleben und Fuhrwerk 1830 bis 1840. Gruppe XIX: Die Armee des Feldmar¬ schalls Radetzky. 1848. — Die meiste An¬ ziehungskraft bekundeten die Gruppen XVII und XVIII, die gar lieblich zu schauen waren. Weit interessanter und fesselnder noch als der historische Festzug war zweifellos der von diesem durch den Zug der Deputationen der Wiener Genossenschaften mit ihren Bannern und Fahnen — ein schwarzer Fleck im bunten Bilde des getrennte Festzug der Nationali¬ Festzuges — täten. Es war ein Bild voll fesselnden Reizes, das sich da vor den Augen der Zuschauer ent¬ rollte. Diese Fülle malerischer, teils farbenfroher, teils dunkler abgetönter Kostüme, sie entzückte das Auge und mit Genugtuung konnte man sich daran erfreuen, daß der Nationenreichtum der alten Habsburger Monarchie — wenigstens was die Kostümkunde anbelangt — auch sein Gutes, ja Herrliches hat. Und welch fröhliches Leben, welch lauter Jubel herrschte in diesem, in keinem andern Staate möglichen, lebensfrohen Zuge. Am meisten Beifall erregten der Zug der Tiroler mit dem Walde von altehrwürdigen Fahnen, der Zug der galizischen Polen mit seinem reichen Pferdematerial, die malerischen Gruppen der Bosnier und Dalmatiner; das Auge der Frauen aber, die dem Festzuge bei¬ gewohnt — wird wohl nicht nur auf den kräf¬ tigen Männergestalten, die vor ihm vorüber¬ zogen, mit Wohlgefallen geruht haben, sondern auch auf den lieben, malerischen und wohlge¬ älligen Frauentrachten, die den Nationalitäten¬ zug zierten. Nach den Nationalitäten kamen im Zuge die Wiener Knabenhorte, die besonders durch ihre stramme Haltung gefielen und den Abschluß des Festzuges bildeten die Sänger des Wiener Sängerverbandes, welche jedoch nur bis zum Kaiserzelt mitzogen, um dort dem Herrscher eine neuerliche, mit der Volkshymne abschließende Sängerhuldigung darzubringen. Als der Festzug vor dem eigentlichen Kaiser¬ festplatz erschien, hielt der Ehrenpräsident des Festkomitees, Graf Hans Wilczek, an den Monarchen folgende Ansprache: „Eure Majestät wollen die große Gnade haben, dem Komitee des Jubiläumsfestzuges zu gestatten, Eure Majestät ehrfurchtsvoll begrüßend an dieser Stelle zu empfangen.

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