62 setzte sich jedoch anscheinend ganz unbe¬ fangen zu Tisch, und zu ihrer Ueber¬ raschung sprach er kein Wort über die Angelegenheit, sondern machte ein freundliches Gesicht und beobachtete sein schönes Kind mit Wohlgefallen, wenn er glaubte, dies unbemerkt tun zu können. Sie aber hatte verstohlen ein Auge auf jeden Zug seines Wesens und fragte sich vergebens, was da im Hinterhalt liege. Andern Morgens, als der Kommer¬ zienrat Füllner sein Personal inspiziert hatte, kam ihm das gestrige Verhalten seines Geschäftsfreundes Wollberg wie¬ der in den Kopf, und er dachte, daß er doch einmal sehen wollte, ob letzterer noch eine schwache Erinnerung an die sonder¬ gestrigen bare Entgleisung seines Räuschchens haben werde. Er beschloß, bei ihm vorzusprechen. Es war in der zehnten Stunde. Wollberg empfing ihn mit jovialer Begrüßung. „Willkommen!“ sagte er. „Ich habe Sie erwartet und freue mich, Sie bei mir zu sehen. „Doch nicht in Geschäften?“ fragte Füllner zuwartend. „Nichts weniger!“ versetzte Wollberg. „Sie können sich's denken, Verehrtester!“ Er geleitete ihn in sein Gesellschafts¬ zimmer, wo bereits Wein serviert war, und bat ihn, Platz zu nehmen. □ „Ich will mich mit zwei Worten ent¬ schuldigen, daß ich gestern in der Auf¬ regung so massiv gegen Sie war“ fuhr er fort. Es war ein Mißverständnis, natürlich. Damit abgemacht! Sie wissen ja, für jede Wunde gibt es einen hei¬ lenden Balsam, und auch, wer ihn in diesem Falle darzubieten hat. „Ich fühle mich gar nicht verletzt“, er¬ widerte Füllner gleichmütig. „Umso besser!“ sagte Wollberg. „Umso angenehmer werden sich unser künftigen Beziehungen gestalten.“ „Haben Sie etwas Neues vor?“ fragte Füllner. „Das Neue ist immer das Alte! sagte Wollberg. „Es wiederholt sich stets im Leben. Sie waren ja schon bisher in allem ein erfolgreicher Mann, aber dies Glück entging Ihnen bis jetzt. 1 Stoßen wir an: Auf Ihr neues Gluck! Füllner hob mechanisch sein Glas, stieß an und trank, dabei aber richtete er über das Glas einen Blick auf Woll¬ berg, der, wenn dieser ein Verständnis dafür gehabt hätte, ihm ungefähr ge¬ sagt haben würde: „Soll mich der Kuckuck holen, ich weiß nicht, was er meint!“ „Dieses Glück ist ja auch das mei¬ nige", fuhr Wollberg fort. „So?¬ „Und vor allem: meiner Tochter!“ „Ah, wirklich?“ „Daran ist kein Zweifel, verehrter Freund! Miezchen ist ja ganz enchantiert. Na, und ich kann natürlich nicht anders als Miezchens Wünschen nachzugeben.“ „Kann ich mir denken. Sie haben ja nur die eine. „Und ich hoffe, daß sie sich an Ihrer Seite recht glücklich fühlt.“ „An meiner Seite?“ „Gewiß! Ich bin damit einverstan¬ den! „Wie denn? Ich mit Ihrer Tochter?“ „Na ja, Sie schüchterner Jüngling! Wozu denn noch ein Geheimnis? Ich als Vater mußte es doch wissen.“ Füllner schüttelte in stummer Ver¬ wunderung den Kopf und blickte sein Gegenüber fragend an. „Wie hat es denn eigentlich angefan¬ gen?“ lachte Wollberg. „Ich hatte keine Ahnung, daß Sie ein solcher Schwere¬ nöter sein könnten.“ „Ich bin ein Schwerenöter? Was habe ich denn angefangen?“ „Bah! Es ist hier unter uns keine Verstellung mehr nötig. Ich sage Ihnen ja, daß ich einverstanden bin! Soll ich meine Tochter rufen?“ „Bitte, bitte!“ protestierte Füllner ganz perplex. „Es scheint hier ein Mi߬ verständnis obzuwalten. Sie reden von einer Mariage mit Ihrer Tochter. Na¬ türlich, ein überaus liebenswürdiges Mädchen; aber ich — meine Grundsätze und Absichten — verzeihen Sie, Bester,
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