58 beiden Bergleute versteckten sich in der Höhle, wo der wehrlose Jude mit einem Knebel im Munde beim Schein der trüben, flackernden Blendlaterne auf seinem Lager ruhte. Eine Stunde verging. Da raschelte es leise, wie unter den Schritten eines heranschleichenden Tieres. Eine schwarze Gestalt schlüpfte wie ein Schatten in die Höhle und flüsterte: — „Löbel! Schläfst du, Freund?“ Im selben Augenblick packte Leonhard die Gestalt beim Kragen. „Ha, verdammt!“ wimmerte der Ueber¬ raschte. „Ich bin verraten!“ „Ergib dich, Friedel!“ Der Posamentierer wand sich wie eine Schlange, konnte sich aber nicht los¬ machen. „Herbei! Herbei!“ schrie der Bergmann. Die Gerichtsdiener tamen eiligst zur Stelle und fesselten den endlich erwischten Gespensterhund. Nachdem sie die Höhle dann forgfältig untersucht und viele von den Spitzbuben geraubte und dort ver¬ steckte Kostbarkeiten gefunden hatten, ver¬ weilten sie bis zum Tagesgrauen in der Grube. Nun trugen die beiden Bergleute den kranken Juden aus dem verlassenen Bergwerk heraus und die Gerichtsdiener führten den gefesselten, noch immer trotzigen Posamentierer, dem man seine zottige Pelzdecke ließ, so daß er, in die¬ selbe gehüllt, ein wildes, hundeähnliches Aussehen hatte. Als der Zug in Anna¬ berg anlangte, liefen die Einwohner mit großem Halloh zusammen, um den Men¬ schen wieder zu sehen, der sie als „Ge¬ spenst“ so häufig geplagt hatte. Die Verbrecher wurden ins Gefängnis geschafft und demnächst die Untersuchung gegen sie eingeleitet. Löbel Hirsch wurde nach seiner Heilung an das Gericht in Meißen ausgeliefert. Die für seine Er¬ greifung ausgebotene bedeutende Prämie empfing Leonhard Härtel, der davon einen Teil den tapferen Teilnehmern an — der Expedition zukommen ließ. Auch die Belohnung für des Posamentierers Er¬ greifung wurde ihm ausbezahlt. Der biedere Küster Lambertus war außer sich vor Freude, als das gefürchtere „Gespenst“ nun hinter Schloß und Riegel saß und ihn nicht mehr peinigen konnte. Jetzt war er stolz auf den jungen Mann, welcher infolge der von ihm bewiesenen Bravour, wodurch er sich um die Stadt verdient gemacht, schon nach kurzer Zeit zum Obersteiger befördert wurde, und nahm ihn gern als Schwiegersohn an Bald wurde mit Sang und Klang Leon¬ hards und Marthas fröhliche Hochzeit gefeiert. In der Untersuchung gegen Meister Friedel kam zur Sprache, wie er habe als „Hund“ seine Spitzbübereien ausführen konnen. Man befragte ihn, ob das mit rechten Dingen zugegangen oder ol Zauberei und Teufelswerk dabei im Spiele gewesen. Er versicherte darauf sehr ernsthaft, daß er weder mit Zauber¬ künsten noch mit dem Teufel jemals etwas zu schaffen gehabt. Die Kunst, auf allen Vieren wie ein Hund zu laufen, sei eine Gabe, welche ihm die gütige Na¬ tur verliehen. Mit einem gewissen Stolz erbot er sich, dem Gerichtshof eine Probe¬ leistung zum besten zu geben; man solle ihm nur seinen zottigen Pelz bringen. Dies geschah. Er hüllte sich in den Pelz und zog einen Zipfel desselben in welchem zwei Löcher für die Augen waren, über den Kopf. Dann kauerte er sich nieder und lief im Gerichtssaal auf und ab, ganz natürlich wie ein Hund indem er zugleich mit täuschender Aehn¬ lichkeit das Bellen, Kläffen und Heulen eines solchen nachahmte. Es scheint, daß man zuerst nicht recht wußte, wie man diesen sonderbaren Verbrecher bestrafen solle. Nach geraumer Zeit wurde vom kurfürstlich sächsischen Schöppenstuhl zu Leipzig ein Urteil eingeholt. Dasselbe verdammte Anton Friedel zum Tode. Er wurde am 10. Februar 1693 hingerichtet.
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