Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

56 hm, hm! mich von Marthas Tränen er¬ weichen zu lassen. „Das ist ein schönes und gutes Wort, was Ihr da sagt, Vater Lambertus!“ „Aber Euer Unternehmen ist ein großes Wagnis!“ „Mit Gottes Hilfe wird es mir gelin¬ gen, aber sagt nichts davon zu Martha, damit sie sich nicht ängstige. „Kommt mit zum Bürgermeister! Dies muß vor dem Bürgermeister selbst ver¬ handelt werden. Es ist gar zu wichtig.“ Beide begaben sich nach dem Rathaus und erbaten sich eine Audienz beim Bür¬ germeister, dem nun Leonhards Plan mitgeteilt wurde. „Wo hat der Elende seinen Schlupf¬ winkel? „Eine gute halbe Meile von hier, Euer Gestrengen, in der verfallenen Alberts¬ grube, die für unzugänglich gilt.“ „Es soll ja sogar lebensgefährlich sein, dort einzudringen.“ „Da der Posamentierer dort aus= und eingeht, so werden andere Leute auch dazu imstande sein.“ „Wann habt Ihr Eure Entdeckung gemacht?“ „Gestern Abend. Ich hatte mich vorher in der Bergwildnis umhergetrieben, um ungestört meinen kummervollen Gedanken nachzuhängen.“ „Weshalb habt Ihr Kummer?“ „Er liebt meine Tochter Martha, Euer Gestrengen. „Und sie liebt ihn nicht?“ „Doch, sie liebt ihn. Und er soll sie auch haben, wenn er das Gespenst fängt, den Preis verdient und Obersteiger wird.“ „Schön. Das wird sich alles hoffentlich zum Besten fügen. Erzählt nur weiter, junger Mann!“ „Ermüdet lag ich hinter einem Fels¬ block, oberhalb der Albertsgrube, da sah ich in der Dämmerung dicht vor mir eine schwarze, in einen zottigen Pelz ge¬ hüllte Gestalt vorüberhuschen. Ich er¬ kannte den Posamentierer Friedel und lag so gut verborgen, daß er mich nicht sehen konnte. Er verschwand im Ein¬ gangsstollen zur Albertsgrube. Ich lauerte fast zwei Stunden in großer Auf¬ regung, da kam er wieder zum Vorschein und wänderte nach der Gegend von Schneeberg zu. Deutlich sah ich ihn im hellen Mondschein. Verfolgung schien mir unnütz, denn er kann ja laufen und springen wie eine Katze, viel behender als irgeno ein anderer Mensch. Mein Plan ist nun, ihn in seiner Höhle zu überfallen oder ihm dort aufzulauern. Zwei Ge¬ richtsdiener erbitte ich mir zur Hilfe Außerdem will einer meiner Freunde, ein tapferer Bergtnappe, mir behilflich sein. „Wohl, es sei!“ sprach der Bürger¬ meister. „Wollt Ihr heute Abend schon das Unternehmen ins Werk setzen?“ „Ja, in Gottes Namen!“ Nach Einbruch der Dunkelheit verließ Leonyard Hartel mit seinen drei Beglei¬ tern die Stadt. Die vier Männer mar¬ chierten in die Bergwildnis hinein, bis sie bei der verfallenen Albertsgrube an¬ langten. Hier war alles unheimlich still nur ein uhn ließ zuweilen seinen un¬ heimlichen Ruf aus einer nahen Felsen¬ schlucht erschallen. Mit angezündeten Laternen drangen sie vorsichtig unter Führung des jungen Bergmannes in die verodete Grube, durch die Windungen eines langen Stollens, kletterten über Haufen von Schutt und Gerölle, und langten endlich bei einem schmalen Durchlaß an, aus welchem ein Lichtschein hervorschimmerte. „Das ist das Nest!“ flüsterte Leon¬ hard. „Der Vogel ist nicht ausgeflogen, wie es scheint. — Wir werden ihn fan¬ gen. Folgt mir! Sie drangen in die Höhle. Der Ein¬ gang war so eng, daß sie sich niederlegen und hineinkriechen mußten. Da rief eine unbekannte Stimme: „Friedel, kommst du endlich? Bist du nicht allein? Wen hast du bei dir?“ „Alle Wetter, es ist nicht der Posa¬ mentierer!“ brummte der eine Gerichts¬ diener. „Doch gleichviel, der Bursche da ist jedenfalls sein Kumpan!“ „Ha, es sind die Schergen!“ murmelte

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