44 Und wie ganz anders war es geworden! —Weihnachten ist wieder da. Das Herz krampft sich ihr zusammen;— das Fest der Liebe, o, wäre es doch schon vorbei. Ihr ist nie im Leben wahrhafte Liebe zuteil geworden, und ihr Herz ist doch so liebebedürftig. Freilich, vor der Welt darf sie es nicht merken lassen, was in C. ihrem Innern vorgeht. Hat sie sich ihr Schicksal nicht selbst zurecht gelegt? Trägt sie nicht allein die Schuld? Sie weiß die Vorgänge noch zu genau, sie stehen vor ihrer Seele, als ob es gestern geschehen wäre. Wie waren doch die beiden Anbeter so grundver¬ schieden in ihrem Charakter, ihren An¬ chauungen und Reden. Baron v. Rohenstein ein schneidiger Soldat, der große Chancen hatte, reich, gesprächig, liebenswürdig, zuvorkom¬ mend und galant. Referendar v. Weiß hingegen ruhig, wenig gesprächig, ver¬ armter Adel. Wenn sie ihm aber in die Augen sah, dann wußte sie, daß sie ihm mehr Neigung entgegenbringen konnte als dem Baron v. Rohenstein. Es kam — dann zum Duell zwischen beiden wegen ihr. Es mochte sich ein Streit ent¬ ponnen haben — etwas Näheres konnte ie nie erfahren, der zur Forderung von seiten des Barons führte. Alle Welt war auf seiten des Barons, es hieß, er sei schwer beleidigt worden. Der Ausgang des Duells war vorauszusehen; der Re¬ ferendar fiel, und ihr wurde berichtet, die Kugeln seien ihm durch beide Füße gegangen, welche hätten amputiert wer¬ den müssen. Von anderer Seite hörte sie wieder, Rudolf v. Weiß sei nach Bra¬ silien ausgewandert und endlich hieß es gar, er habe sich erschossen. — Es waren aufregende Tage gewesen. Lange Nächte sah sie das Gesicht des Referendars vor ich, hörte ihn jammern. Sie war sich plötzlich klar, daß sie ihn liebte, wahr liebte, und doch durfte sie nichts tun konnte sie nichts tun, die Eltern und Standesrücksichten standen dazwischen. Mit der Zeit heilten die Wunden, und sie auf Zureden ihrer Eltern reichte Arnim v. Rohenstein doch noch die Hand zum Bunde, er mußte sie ja schließlich auch sehr lieb haben, sonst würde er sich mit dem Referendar nicht geschossen haben. Die Erfahrung belehrte sie aber eines Besseren. Manche trübe, qualvolle Stunde mußte sie durchkosten, von den Launen und der Tyrannei ihres Gatten abhängig, bis er durch einen Sturz vom Pferde tödlich verunglückte. Sie be¬ trauerte ihn wohl, weil sie sich einsam fühlte, eine Lücke in ihrem Herzen hatte er aber nicht zurückgelassen, Liebe hatte sie ihm nie entgegengebracht. Aus ihren Gedanken wird die Baronin durch leichte Tritte draußen auf dem Korridor aufgeschreckt. Da öffnet sich auch schon die Tür, und herein stürmt ihr Töchterchen, eben vom Weihnachts¬ markt kommend. „Was für schöne Sachen ich gesehen habe, Mama“, ruft sie entzückt aus. „Nun, mein Herzblatt!“ Die Baronin hebt ihr Kindchen in die Höhe und küßt es stürmisch ab. In¬ zwischen ist es ganz dunkel geworden. „Mama, darf ich bei dir bleiben?“ fragte zaghaft die Kleine. „Natürlich, mein Liebling; und nun erzähle mir einmal, was du gesehen hast. „Ach, viele, viele schöne Sachen! Mama, sag' mir aber ganz richtig kommt das Christkindchen zu allen Menschen? „Zu allen guten, braven Menschen, mein Kind.“ „Auch zu großen Leuten?“ „Jawohl, auch zu großen Leuten.“ Mariechen klatscht erfreut in die Hände und fährt munter fort: „Ich will dann das Christkindchen bitten, auch zu dem armen Mann zu gehen, bei dem wir heute waren, er sah so traurig aus und wollte mir sogar etwas schenken, die Gouvernante verbot mir aber, es anzu¬ nehmen. „So,“ versetzte die Baronin aufmerk¬ sam, „wo war denn das?“ „Unter den Buden, Mama; ich schreibe noch heute an das Christkindchen, es
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