Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

40 sie im Auftrag des Herzogs am Bahnhos empfangen und nach ihrem Hotel geleitet. Serenissimus ging wie verzaubert herum, seitdem er die Grafin gesehen. Ja, Host hatte Recht, sie war ein herrliches Weio. Die alte Liebe, die er längst begraben glaubte, war mit aller Macht wieder her¬ vorgebrochen, er huldigte der Grafin in einer Art und Weise schon gleich beim Empfang, die das Schicklichreitsgefuhl etwas übertraf, unbekummert darum daß er durch sein Benehmen die Eifer¬ sucht seiner Frau in hochstem Grad er¬ regte. Frau Serenissimus hatte Argwohn gefaßt, besonders als sie von ihrem Manne gehört, daß er die Gräfin früher gerannt. Sie liedte ihren Mann ab¬ göttisch, deshalb wurde sie eifersüchtig auf die Grafin und warf einen Haß auf sie, besonders als sie ihre berückende Schönheit sah. Serenissimus war bei der Gräfin Pell. Der Graf war ausgegangen und Serenissimus beglückwünschte sich im stillen dazu, mit der schönen Gräfin allein zu sein. Nachdem ihn der Larai gemeldet und er die Schwelle des „Para¬ dieses“ überschritten, wie er es heimlich nannte, trat er schnell auf die Grafin zu, die in einem goldgestickten Peignoir aus weißem Kaschmir wunderschon aussah. „Ah, Herr von Welten“, sagte sie zu Serenissimus, indem sie ihn mit einem hochmütigen Blicke von oben bis unten maß. „Ich bedaure, daß mein Mann nicht zu Haus ist, bitte, nehmen Sie Platz“, fügte sie bei, mit der Hand aus einen Fauteuil deutend. „Und ich bin glücklich, überglücklich, teuerste Gräfin, Sie allein zu treffen“ sagte Serenissimus. „Gräfin Eva, haben Sie die Vergangenheit vergessen? Ge¬ denken Sie nicht mehr der schönen Tage am Ufer des grünen Neckar?“ Ehe es die Gräfin hindern konnte hatte er ihre beiden Hände erfaßt und bedeckte sie mit heißen Küssen. „Was fällt Ihnen ein, Herr von Welten“ rief die Gräfin entrüstet, in¬ dem sie ihre Hände aus den seinigen riß und ihn empört von oben bis unten an¬ sah. „Ich bin die Gräfin Pell, eine ver¬ heiratete Frau, hören Sie, eine ver¬ heiratete Frau, eine glückliche Frau, die dem feigen, treulosen Gecken von damals nur dankbar ist, daß er sie verließ, denn seine Feigheit und Schlechtigkeit war die Staffel zu ihrem Glücke. Da ist die Ture, fügte sie hinzu, indem sie mit der Hand gebieterisch nach der Türe wies Serenissimus war bei diesen vernich¬ tenden Worten leichenblaß geworden. Er wollte sprechen, etwas erwidern, er konnte es nicht, er brachte kein Wort heraus. Schließlich siegte, wie immer in seinem Leben, die Klugheit, der Ver¬ stand über seine Gefuhle, er dachte an das Bündnis, er durfte die Gräfin nicht reizen. Er verbeugte sich tief mit den Worten: „Verzeihen Sie, Frau Gräfin“, und verließ wie ein begossener Pudel das Gemach, das er so voller Hoffnung und so siegesgewiß betreten. Armer Serenissimus, er kam aus dem Regen in die Traufe, wie man zu sagen pflegt, denn zu Haus empfing ihn seine Frau mit bösen Worten, und als sie hörte, daß er bei der Grafin gewesen machte sie ihm noch eine fürchterliche Eifersuchtsszene. Ganz matt sank er in seinem Zimmer zusammen. O, les Temmes, les femmes“, stöhnte er, in¬ dem er sich die Schweißtropfen von der Stirne wischte. E Die Fruhstückstafel war gedeckt, man gab ein déjeuner dinatoire zu Ehren des gräflichen Paares bei Serenissimus. Der Herzog und die Herzogin hatten ihr Erscheinen zugesagt. Die Tafel gewährte einen entzückenden Anblick; hochst ge¬ schmackvoll war sie mit Blumen deroriert die die Nationalfarben des befreundeten Nachbarreiches zeigten. Blendend weißer Damast vom feinsten Gewebe bedeckte den Tisch, der mit dem schönsten Kristall und dem herrlichsten Silber geschmückt war. Das Tageslicht war nicht abge¬ sperrt worden, die Sonne flutete, ohne störend zu sein, hell hinein und die Glas¬ türen, die nach dem Parke führten, stan¬ den weit offen. Serenissimus erschien in

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2