Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

18 flüchtige Röte bedeckte seine Wangen. Er konnte es nicht verneinen. „Wer war es?“ forschte der Kranke ungeduldig weiter. „Marie, sprach Heinrich leise und zögernd. Kerstens Augen waren starr auf ihn gerichtet, als traue er seinen Ohren nicht. Dann schloß er die Augen und lag still da, aber seine hastig atmende Brust ver¬ riet, daß es in ihm nicht so still war daß ein heftiger Kampf in seiner Brust stattfand. „Richte mich empor!“ rief er endlich hastig, ungeduldig. „Steht der Baum noch vor dem Hofe?“ fuhr Kersten fort. „Ja. — „Dann gehe hinaus, haue ihn um soll fort — fort.“ er Heinrich begriff die unruhige Er¬ regung seines Vaters nicht sofort. Be¬ sorgt blickte er ihn an. „Tue es, Heinrich“, sprach der Kranke ruhiger, indem er des Sohnes Hand er¬ faßte. „Tue es, er hat genug Unglück über mich gebracht, das soll vorbei sein ich will ihn nicht mehr sehen! rief „Vater, dies ist dein Ernst!“ Heinrich aufjubelnd. Der Alte nickte mit dem Kopf und drückte leise des Sohnes Hand. Der Kampf war ihm nicht leicht geworden; nun er den Entschluß einmal gefaßt hatte war es ihm, als ob ein tiefer Frieden sich auf seine Brust lege. „Ich will ihn nicht wiedersehen“, sprach er. „Und dann noch eine Bitte. Gehe zu Lüders — und frage ihn, ob er nock — einmal zu mir kommen will!“ „Vater! Vater!“ rief Heinrich, des 6 Kranken Rechte mit beiden Händen um¬ schließend. Kersten lächelte ruhig, ein Hauch der Versöhnung lag über seinem Gesichte. „Geh' geh'!“ sprach er, als befürchte er, daß es zur Versöhnung zu spät wer¬ den möge. „Und auch Marie bringe mit ich will sie sehen!“ „Ich kann dich nicht allein lassen“, warf Heinrich ein. „Ich fühle mich wohl und leicht, sprach Kersten, „nur bleib' nicht zu lange. Glücklich eilte Heinrich fort. In kurzer Zeit kehrte er mit Lüders und Marie zurück, es hatte keiner Bitte für ihn be¬ durft, willig waren sie ihm gefolgt. Aufrecht im Bette saß Kersten da, ungeduldig und unruhig war sein Blick auf die Tür gerichtet, jede Minute hatte sich für ihn zu Stunden ausgedehnt. Als Lüders und Marie endlich zur Tür eintraten lblickte er sie halb ängst¬ lich an, als Lüders indes rasch an sein Bett heranschritt, streckte er ihm die Rechte entgegen. Seine Lippen bewegten sich, allein sie waren nicht imstande, ein Wort hervorzubringen. Und auch Lüders schwieg, allein die Hände der beiden Männer, welche so erbitterte Feinde ge¬ wesen waren, hatten sich fest gefaßt und ihre Augen ruhten ineinander, versöhnt, ohne Groll — mehr bedurfte es nicht. „Der Baum soll fort — vergeßt alles! sprach Kersten endlich. Der Druck von Lüders' Hand ant¬ wortete ihm. Er sah die Freudentränen in dem Auge seines Kindes, und in Ma¬ riens Glück schien auch ihm ein neues Leben aufzugehen. Kersten winkte Marie zu sich heran erfaßte ihre Hand und sein Auge ruhte lächelnd, freudig, auf den hübschen Zügen des Mädchens. — „Nun ist alles alles gut!“ sprach er beruhigt, indem er müde sein Haupt zurücklegte, denn die Aufregung hatte seine schwachen Kräfte erschöpft. Lüders bat ihn, sich Ruhe zu gönnen zustimmend nickte er mit dem Kopfe. Heinrich und Marie blieben zur Pflege bei ihm. * * * Früh am Morgen des folgenden Tages ertönten die Schläge der Axt, durch welche die Linde vor Kerstens Hause ge¬ fällt wurde. Kersten hörte sie und ein zufriedenes Lächeln glitt über sein Ge¬ sicht hin. Heinrich hatte befürchtet, daß es ihn aufregen würde, allein freund¬

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